Ein Herz bricht selten allein
übrigens nicht Ihre,
sondern seine. Seine sind nämlich bekannt. Ihre nicht.«
»Woher wissen Sie denn, daß
meine nicht auch bekannt sind? Sie kennen sie ja gar nicht.«
Er klopfte auf seine Mappe, die
er wie ein Schüler vor sich auf die Knie gelegt hatte. »Warum, glauben Sie,
habe ich Ihnen die heute zum Halten gegeben?«
Es war einfach lächerlich, was
dieser Seggelin da verzapfte!
Er war ein Schwindler, weiter
nichts. Oder vielleicht einfach ein Spaßvogel.
»Warum interessieren Sie sich
eigentlich so sehr für — für...« Nein, sie brachte den Namen Rindlende nicht
über ihre Lippen. Jean, ihr zärtlicher, kleiner Träumer, sollte ein Kellner mit
dem Namen Johann Rindlende sein?
»Erlauben Sie mal, er hat mir
über sechstausend Franken geklaut, das macht ihn mir interessant genug. Und
auch Sie, Signora, stehen hoch in meiner Schuld, das wissen Sie hoffentlich?«
»Ich? Wieso? Sie glauben doch
nicht, daß ich mit Jean unter einer Decke stecke?«
»Nein, das nicht. Aber wenn die
Sache mit dem Diebstahl nicht dazwischengekommen wäre, wären Sie wahrscheinlich
in irgendeinem zweideutigen Unternehmen in Afrika oder sonstwo gelandet. Ich
habe mir da ein paar Notizen gemacht über Herrn Rindlendes bisherige
Tätigkeit.« Er öffnete seine Mappe, und nun strömte es heraus, eine ganze Wolke
von Käseduft.
»Pardon«, sagte Herr Seggelin.
Er kramte in seinen Papieren und legte das kleine Päckchen, das die Aufschrift
eines Delikatessenladens trug, diskret beiseite.
»Käse, was? Schweizer Käse?«
Bettina schloß die Augen, aus Angst, ihre Gier könne sich darin verraten.
»Eine dumme Gewohnheit von mir.
Sie können mich auslachen, aber ich esse am Abend vor dem Einschlafen gern
einen Apfel, ein trockenes Stück Brot und ein Stück Käse«, erklärte Herr
Seggelin und packte den Käse zurück in seine Mappe.
»Ich auch«, sagte Bettina rasch
und lächelte Herrn Seggelin an.
»Donnerwetter, Sie sind aber
eine offene Frau. Das hätte ich nach allem, was ich bis jetzt mit Ihnen erlebt
habe, nicht erwartet.« Er betrachtete sie anerkennend. »Darf ich dann
vielleicht meine Ration mit Ihnen teilen?«
Bettina nickte, und er holte
zwei rotwangige Äpfel und eine Semmel aus der Mappe und legte alles vor sich
auf den Tisch. Dann zog er ein Klappmesser aus der Hosentasche, schnitt die
große Semmel auseinander, wickelte das Stück Käse bedächtig aus und teilte es.
Die eine Hälfte spießte er mit der Messerspitze auf und hielt sie Bettina hin.
Der Käse hatte den matten Glanz von Elfenbein und schwitzte vor Frische.
Ludwig Seggelin begann, die
Äpfel mit einem frischen Taschentuch blankzureiben. »Soll ich Ihnen den Apfel
schälen?«
»O nein.« Bettina griff bereits
danach und biß in das saftige, säuerliche Fleisch. Da saß sie nun mit Herrn
Seggelin, von dessen Existenz sie vor vierundzwanzig Stunden noch nichts geahnt
hatte, in einem muffigen >Salon< und aß Käse aus dem Papier.
Jetzt, da ihr erster Hunger
gestillt war, bekam Bettina Lust, sich mit Herrn Seggelin anzulegen. »Ich
wette, Sie können jodeln und Zither spielen.«
»Nein, damit kann ich leider
nicht dienen.«
»Aber in einem Schützenverein
sind Sie.« Sie stellte sich ihn grünbehutet mit geschultertem Gewehr vor. Er
zog mit anderen Eidgenossen singend zur Schützenwiese hinaus, seine Brust war
geschwellt von Heimatliebe, und auf seinem Hut prangten die Plaketten, die er
sich schon erschossen hatte.
»Nein, aber mein Vater ist in
einem Schützenverein. Wissen Sie, mein Vater, dem man das Geld gestohlen hat«,
sagte er freundlich.
Bettina wurde rot. Diese Runde
hatte Herr Seggelin gewonnen, und die nächste gewann er auch. »Interessiert Sie
Tanger?« fragte er lächelnd. »Es ist Herrn Rindlendes Umschlagplatz.« Seggelin
war mit seiner Mahlzeit fertig und erhob sich. »Ich will Sie jetzt nicht länger
aufhalten. Wenn Sie zufällig mal nach Mailand kommen, schauen Sie vielleicht
mal bei mir vorbei, so auf einen Apfel und ein Stück Käse.«
Er gab ihr seine Karte, und
Bettina steckte sie in die Tasche ihres Bademantels.
»Ja, was ich noch sagen wollte:
Den Burschen haben wir, aber das Geld fehlt noch. Sie wissen natürlich auch
nichts darüber?«
»Ich? Nein, bestimmt nicht.«
»Dumme Sache. Mein Vater wird
ärgerlich sein. Das Geld war zur Unterstützung eines Kinderasyls gedacht.
Wissen Sie, es gibt Kinder, die von ihren Müttern einfach im Stich gelassen
werden.«
Bettina schluckte. Wußte
Seggelin über sie Bescheid?
Sie
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