Bildung und Deiner Beruhigung auch in Museen«, schrieb
sie. »Ich bin sehr glücklich, daß Du mir das erlaubt hast, ich gehe schon
nicht unter, hab’ keine Sorge. Schließlich habe ich mir ein halbes verbummeltes
Jahr verdient, denn ich habe mein Abi als eine der Jüngsten gemacht. Wenn ich
erst in Tübingen oder Heidelberg hocke und für Scheine und Klausuren büffle,
ist die schöne Jugendzeit sowieso vorbei.«
Mit Zwanzig vorbei! Anna las
den Brief ein zweitesmal. Er war so erfrischend unkompliziert. Franzi hatte ein
Foto mitgeschickt. Sie trug jetzt das Haar ganz kurz geschnitten. Sie hätte als
Junge gehen können, ein hübsches, modernes, noch sehr kindlich wirkendes
Geschöpf. Die Augen, munter und klar, lachende Augen.
Der Nebel hatte sich früher als
sonst über London gelegt. In Franzis Zimmer brannte das Licht den ganzen Tag.
Das Zimmer war groß und ungemütlich kalt. Die Wohnung der Jordans hatte keine
Zentralheizung, und Franzi verstand recht wenig vom Umgang mit Kaminen. Auch
heute hatte sie es nur zu einem kleinen, in bösen grünen und blauen Farben
züngelnden Flämmchen gebracht. Vergeblich wartete sie auf das Knistern der
Buchenklötze. Sie kniete vor dem Flämmchen und bemühte sich um sein Fortleben,
fütterte es mit riesigen Mengen von Zeitungspapier und beförderte mit dem
Blasebalg ganze Geschwader verkohlter Fetzen ins Zimmer. Aber das half alles
nichts. Das Flämmchen verlosch schließlich ganz, und Franzi gab den Versuch,
ihr Zimmer warmzukriegen, endgültig auf. Sie zog einen dicken Wollpullover an
und kauerte sich mit hochgezogenen Beinen in den Polstersessel mit dem türkisch
gemusterten Plüschbezug. Das Zimmer war noch mit manchen anderen türkischen
Gegenständen ausgestattet, mit Wandteppichen in muffigen Farben, mit einem
Rauchtisch, mit zwei zusammengesessenen Lederpuffs und einer ganzen Anzahl von
Wasserpfeifen. Irgendein jordanischer Ahne mußte wohl einmal gegen die Türken
gekämpft und diese Dinge erobert haben. Vielleicht auch hatte ein türkischer
Freund sie ihm aufgedrängt. Jedenfalls war daraus das sogenannte türkische Zimmer
geworden, das man Franzi vermietet hatte. Franzi beschloß, nie in ihrem Leben
in die Türkei zu fahren.
Jordans waren übrigens
keineswegs Freunde von Evelyne, sondern Franzi hatte das Zimmer bei Jordans
durch die Zeitung gefunden. Aber >Freunde von Evelyne< klang natürlich
besser in Mamas Ohren.
Verzeih mir, liebe,
allerliebste Mama, aber ich muß dich anlügen.
Franzi war nicht nach London
gegangen, um das berühmte Britische Museum zu durchforschen, sondern um bei
Lester zu sein. Konnte man das einer Mutter schreiben? Das konnte man so
unverblümt nicht einmal Evelyne eingestehen.
Als Lesters Urlaub sich dem
Ende zuneigte, hatte Franzi ganz sacht bei Evelyne angetippt, wie diese über
eine Übersiedlung nach London denke. Solche Gespräche fanden im Bett statt,
morgens, noch befangen von Träumen und schwerem Schlaf. Mrs. Ronsfield klappert
schon mit dem Frühstücksgeschirr, viel zu laut und intensiv, auch singt sie
dabei, macht eifrig Türen auf und zu und spricht mit den Vögeln, die in ihrem
Garten herumfliegen. »Nicht wahr, wir Frühaufsteher, wir wissen, daß die
Morgensonne die schönste ist«, ruft sie den Spatzen nach, die bei ihrem
Erscheinen entsetzt vom wilden Wein der Pergola aufflattern.
Evelyne holte einen langen
Seufzer ganz tief von unten her und sagte: »Wenn sie nur irgend etwas anderes
treiben würde um diese Stunde. Mein armer Vater! Der mag auch keinen Frohsinn
vor neun Uhr.«
Franzi dehnte sich. »Und wer
macht das Frühstück, bitte? Du vielleicht?«
»Ich nicht. Aber du könntest
das ja vielleicht übernehmen. Für deinen geliebten Lester wirst du doch mit
Vergnügen Tee aufgießen und Eier kochen. Spaß beiseite, du bist ganz hin von
ihm, was? Eigentlich ist doch nichts dran an ihm.«
»Ich meine, ich würde eben
London gern sehen. Ich habe noch nicht die geringste Lust heimzufahren.«
»Na ja, dann geh doch nach
London. Würde deine Mama es erlauben?«
»Wenn ich es ein bißchen
hinfrisiere, dann schon. Sie ist jetzt ganz mit Bettina beschäftigt. Sie ist
sicher froh, wenn sie mich noch eine Weile los ist. Außerdem habe ich Lester
wirklich sehr gern.«
»So?«
»Natürlich. Was ist denn daran
Schlimmes?«
»Schlimm ist es nicht. Jeder
tut’s, der eine früher, der andere später. Ich bitte dich nur um eins: Hab’
meinen Bruder nicht >sehr gern
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