Ein Herz bricht selten allein
bitte — danke. — Etwas Brot? Nein, danke.<
Bibi schläft gottlob um diese Zeit noch. Sie sieht ihren Vater kaum. Wenn er in
seinem Zimmer arbeitet, darf sie ihn nicht stören, und die Freizeit, wo sie ihn
stören dürfte, verbringt er mit Fräulein Pfiff. Das ist sie. Außerdem sehe ich
nicht ein, warum von den dicken Geldern, die Bernhard verdient, für Bibi und
mich nur Pellkartoffeln herausspringen sollen und für die andere das Dolce
vita. Ich habe schon daran gedacht, nach Berlin zu gehen, weil ich doch dort
von früher eine Menge Leute kenne, die mir vielleicht weiterhelfen können.
Würdest Du mir eventuell Deine Wohnung zur Verfügung stellen? Wenn Du in Elba
baust, nützt Du sie doch wahrscheinlich gar nicht mehr aus, und ich könnte in
Ruhe, fern vom Schuß, abwarten.
Was machen wir nur mit Poldi
und den verschwundenen Moneten, Mama? Wie kannst Du es nur aushalten mit so
abscheulichen Kindern. Arme Mama! Wenigstens hast Du einen Lichtblick, das ist
Franzi. Sei innig umarmt — Bettina.
PS: Ich war bei Herrn Seggelin in Mailand und habe ihm alles erzählt. Ich
glaube, er wird nichts gegen Poldi unternehmen.«
Auf diese Weise erfuhr Anna
endlich den rechtmäßigen Eigentümer des Geldes. Einen Tag später, nach einem
kurzen Telefongespräch mit Seggelin, überwies sie es nach Mailand. Sie fühlte
sich so erleichtert, als sei sie einen schmerzhaften Nierenstein losgeworden.
Sie kaufte sich eine Flasche Spumante und war willens, einmal einen ganzen Tag
nicht an ihre Kinder, sondern nur an sich selbst zu denken.
In ihrem Wagen, der auf der
Piazza parkte, war es so heiß, daß man Brötchen darin hätte backen können. Anna
lechzte danach, sich ins Meer zu werfen, aber vorher stattete sie ihrem
Grundstück ein Besuch ab. Sie bildete sich ein, die Eidechsen hier seien grüner
und ihre Augen schimmerten goldener als anderswo. Der harzige Duft von Myrte,
Rosmarin und Zistrose gehörte auf diesem kleinen Fleck Erde ihr, ihr ganz
allein. Sie legte mit Steinen die Umrisse ihres Hauses aus, sah im Geiste die Mauern
wachsen, das rote Dach sich darüberbreiten und hinten im kleinen Küchenhof
zwischen den grünen Zweigen Orangen blühen. Über die Ränder großer Tonvasen
fielen ganze Kaskaden von rosa Geranien, und in dem geheimnisvollen Brunnen auf
der weinüberwachsenen Terrasse spiegelten sich bizarr gefiederte Mimosen. Sie
träumte wie ein junges Mädchen.
Der Stein, auf dem Anna in
ihrem Wohnraum saß, war hart und kantig, aber sie merkte es gar nicht, denn in
Gedanken lag sie wohlig ausgestreckt auf einer daunenweichen Couch. Bettina und
Bernhard waren wieder vereint, Franzi hatte eine vorzügliche Doktorarbeit
abgeliefert, und Poldi war Leiter einer großen Exportfirma.
Bisher hatte sie ihren Kindern
die Zügel zu locker gelassen, das war das einzige, was sie sich vorzuwerfen
hatte. Aber das würde nun anders werden.
Es mußte einfach anders werden.
Am Abend schrieb sie Bettina,
daß sie leider ihre Wohnung in Berlin für sich selbst brauche. Sie werde
demnächst wieder dorthin zurückkehren und erst mit dem Baubeginn wieder nach
Elba kommen. »Gib nicht so schnell auf«, schrieb sie. »Du hast
Dir vorgenommen, Deine Ehe aufrechtzuerhalten. Nun mußt Du es auch
durchstehen.« Sie las diesen altklugen, ledernen Satz dreimal. Ein
widerlicher Satz, kaum zu glauben, daß sie ihn geschrieben hatte.
Aber sie ließ ihn stehen, sie
wollte endlich eine Mutter mit Rückgrat sein.
Als Poldi in New York an Land
ging, empfing ihn ein unfreundlicher Novemberwind. Poldi trug seinen Bart
wieder, aber nicht als Dokumentation seines weltverachtenden Intellektes,
sondern weil es in diesen drei Wochen einfach bequemer gewesen war, sich nicht
zu rasieren. Er hatte sich seine Überfahrt auf einem dänischen Frachter
erarbeitet. Als echter Matrose hatte er einen Seesack bei sich und in der
Gesäßtasche einen Zettel mit Geheimtips seiner Kumpels, Adressen von billigen
Unterkünften, billigen Gasthäusern. Er schlief in einem der empfohlenen Hotels.
Es roch verdächtig nach Insektenvertilgungsmittel, und die abgewetzten
Teppichfetzen, mit denen der Boden bedeckt war, hatten von der Erfindung des
Staubsaugers noch nichts gespürt. Der Nachttisch war mit einer dicken
Staubschicht bedeckt, und im kümmerlichen Licht einer 25-Watt-Birne las Poldi
die Inschrift, die sein Vorgänger in den Staub geschrieben hatte: >Here are bugs<.
Wanzen hin, Wanzen her: Poldi war hundemüde, zu müde, das Quartier noch einmal
zu wechseln, zu
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