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Ein Herz bricht selten allein

Ein Herz bricht selten allein

Titel: Ein Herz bricht selten allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gitta von Cetto
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Londons Architektur und seinen
alten Bookshops die Rede war, und sie ihn in den Briefkasten steckte, war ihr
jedesmal ganz elend zumute. Wie niederträchtig war es, die Zärtlichkeit, die
aus Mamas Briefen sprach, mit so falscher Münze heimzuzahlen.
    Längst war sie von den Jordans
weggezogen. Es hatte mit der puritanischen Mrs. Jordan Krach gegeben, als
Lester das Haus bei Morgengrauen verließ. Auch konnte Franzi nie ihre sorglos
lärmenden neuen Freunde bei sich bewirten, weil Jordans geräuschempfindlich
waren.
    Franzi wohnte jetzt in einem
Boardinghouse, wo man großzügiger war. »So reizend Jordans waren, aber ich habe
es in dem eiskalten Zimmer einfach nicht mehr ausgehalten«, erklärte Franzi
ihrer Mutter. Das war ein Schwindel mit einem Quentchen Wahrheit, denn das
Zimmer in der Pension hatte Zentralheizung, und Franzi mußte sich nun nicht
mehr mit dem deutschfeindlichen Kamin abrackern. Das Geld, das Anna monatlich
schickte, schwand rasch dahin. Franzi verzehrte nur einen kleinen Teil davon,
den größeren Teil schluckten die Getränke. Franzi konnte sich ja schließlich
nicht lumpen lassen.
    »Wenn ich mein Studium anfange
(es kommt nichts anderes für mich in Frage als Neuphilologie), werde ich den
anderen um einige Pferdelängen voraus sein«, schrieb sie. Und Anna schrieb
zurück: »Aber Du läßt Dich in Berlin immatrikulieren, mein Kleines. Darum
bitte ich Dich. Wir waren fetzt lange genug getrennt.«
    Franzi ging der Briefwechsel
mit zu Hause an die Nieren. Sie begriff, daß es zwischen ihr und Mama nie mehr
so sein würde wie früher, weil das einmal gesponnene Lügennetz automatisch
weitere Lügen nach sich zog. Aber wie hätte sie es anders machen sollen?
Außerdem hatte sie ja jetzt ein gutes Gegenargument, denn solange Bibi bei Mama
war, traf es sich ganz gut, daß Franzi nicht auch noch in der kleinen Wohnung
herumwimmelte. Damit beruhigte Franzi ihr Gewissen.
    Es war eben ein Naturgesetz,
daß Kinder ihre Eltern anlügen mußten.
    Die gute Seite an dieser Sache
war, daß sich Franzis Verhältnis zu Lester eingependelt hatte. Sie war sein
Mädchen. Sie wußte, daß er da und dort gelegentlich noch andere Mädchen hatte,
aber sie lag ihm nicht mehr in den Ohren mit ihrer kindischen Eifersucht.
Allmählich wurde sie gerieben in diesen Dingen. Sie wollte nicht verlieren. Man
mußte mitmachen, oder man schied aus. Es kostete sie ein hartes Training, aber
sie schaffte es. Franzi war stolz, so modern zu sein.
    Von Australien war nicht mehr
die Rede. Lesters Chef hatte wahrscheinlich anders disponiert. Oder sollte gar
Lester selbst die Sache abgeblasen haben? Um in London zu bleiben? Um sich
nicht von Franzi trennen zu müssen? Er würde das natürlich nie zugeben, und sie
würde ihn auch nie darauf ansprechen, aber die vage Vorstellung allein gab ihr
genügend Auftrieb, um seine nicht seltenen Telefonanrufe »Hallo, Darling, sei
nicht böse, aber heute wird es mit uns beiden nichts« zu schlucken. Sie ahnte
nicht, daß sie noch ganz andere Dinge würde schlucken müssen.
     
    Bettina beneidete die kleine
Schwester, die so sorglos in den Tag hineinlebte, gesund, vergnügt, ohne einen
zermürbenden Ehe- und Scheidungskrieg und ohne die vielen kleinen, zunächst nur
im Vergrößerungsspiegel sichtbaren Fältchen. Bettina kannte jedes einzelne. Ihr
Leben bestand aus Liegen, in den Spiegel sehen, Fingernägel pflegen, Müsli mit
viel Rahm essen, zu Kontrollaufnahmen in die Röntgenabteilung traben, auf dem
Korridor herumstehen und warten, ob eine der Schwestern Zeit zu einem kleinen
Klatsch hatte, dann wieder Liegen im Bett oder auf der geheizten Liegeterrasse,
schmökern, dösen, zur Linken Frau Laastrek, zur Rechten Mary Croon, hinter sich
das Krankenzimmer, vor sich frostglitzernde Tannen und goldweiße, am Abend
blaubeschattete Berge, am Himmel bewegte sich ein winziger silberner Punkt und
zog einen langen und länger werdenden Kondensstreifen hinter sich her. In dem
Silberpünktchen saßen siebzig Passagiere oder fünfzig oder hundertfünfzig und
jagten ihren Geschäften oder Abenteuern nach oder flogen gelangweilt in der
Welt umher. Bettina starrte dem kleinen silbernen, in die Ferne eilenden Punkt
sehnsüchtig nach. Sie war mutlos und niedergedrückt.
    »Sie dürfen sich nicht so in
die Krankheit fallenlassen. Sie sind doch eine junge, hübsche Frau«, sagte der
Arzt strafend zu Bettina.
    Da fragen Sie mal meinen Mann,
wofür der mich hält, hätte sie antworten können.
    Wann hatte sie

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