Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit
demjenigen zu, der die Getränke bezahlt.
Im Sommer steht die Hintertür immer offen, und auf der Bahn aus festgestampftem Sand spielen alte Männer Boccia. Etwa alle zwanzig Minuten bringt ihnen ein Mädchen ein Tablett mit gefüllten Weingläsern. Sie sammelt die korkenen Bierdeckel unter den leeren Gläsern ein und stapelt sie am Ende der Bar als Beleg für den bis dahin getrunkenen Wein.
Gespielt wird um Wein, und zwar mit großem Ernst, gemessener Würde und viel Beifall und Kritik. Mitunter stehlen angeheiterte Alte ein, zwei Bierdeckel und stecken sie in die Tasche, nicht weil sie sich ums Zahlen drücken wollen, sondern weil dann das Barmädchen kommen muß und sie ihr bei dieser Gelegenheit in den Hintern kneifen können.
Den Gegensatz zu diesen guten Leutchen bilden die jungen Rabauken aus der Nachbarschaft, die im Billardzimmer mit der Musikbox herumhängen und ihre Zeit damit vergeuden, geliehenes Geld zu verspielen und sich gegenseitig mit ihren Eroberungen und Messerstechereien die Hucke vollzulügen. Herr über diese großkotzigen Halbstarken ist Candy Al Canducci, dessen auffallende, teure Anzüge und auffallend billige Frauen sie bewundern. Eines Tages werden auch sie …
Er borgt ihnen gelegentlich Geld oder spendiert ihnen eine Lage. Dafür sind sie ihm unterwürfig treu zu Diensten, machen kleine Besorgungen für ihn oder stehen, wenn er einer von einem anderen Boß beherrschten Bar einen persönlichen Besuch abstattet, mit patziger Miene herum.
Das Ganze ist eine Taschenausgabe der größeren Mafia-Aktivitäten in Nord- und Ost-Montreal, entbehrt aber nicht der Gewalt. Gelegentlich gibt es Zwischenfälle wegen der Abgrenzung der Wett-Territorien und ein-, zweiwöchige Kämpfe, in deren Verlauf einzelne Angehörige der einen Gang von fünf, sechs Mann einer anderen zusammengeschlagen werden, wobei Gesicht und Hoden die Vorzugsziele spitz zulaufender Schuhe sind.
Zuweilen kommt es in einer abgelegenen Nebenstraße zu einer nächtlichen Schlägerei, die lautlos verläuft bis auf Gekeuch und Schuhgescharre und das Aufstöhnen, wenn das Messer eindringt.
LaPointe weiß stets, was läuft, und läßt es laufen, solange niemand außer den Kontrahenten in die Sache verwickelt ist. Zwei Dinge freilich läßt er nicht durchgehen: Mord und Drogen – das eine, weil es in die Zeitungen kommt und sein Revier in Verruf bringt, das andere einfach nur, weil er's nicht durchgehen läßt. Liegt ein Mord vor, hält er einen kleinen Schwatz mit den Bossen, und am Ende liefert ihm irgendein Informant den Täter. Das ist eine stillschweigende Übereinkunft unter ihnen. Immer mal wieder kommt es vor, daß ein Boß glaubt, er könne sich mit LaPointe anlegen. Das geht für den Betreffenden nicht gut aus. Seine Jungs werden plötzlich wegen der kleinsten Übertretung festgenommen. Auf einmal fängt die Polizei an, einen illegalen Wettbetrieb nach dem andern auffliegen zu lassen. Und jedesmal, wenn LaPointe eine Haussuchung macht, tauchen kleine Drogenmengen auf. Der Rabaukenklüngel um den widerspenstigen Boß beginnt abzubröckeln, und jeder Boß weiß, daß beim ersten Anzeichen von Schwäche seine Brüder über ihn herfallen und sich sein Territorium einverleiben. Noch der Selbstbewußteste wird schließlich ein kleines Gespräch mit LaPointe führen, ihm den von ihm gedeckten Killer ausliefern oder sich von seinem kleinen Abstecher in die Drogenszene zurückziehen. Natürlich werden die üblichen starken Worte laut, von wegen: Eines Morgens werde LaPointe, wenn er aufwacht, tot sein, aber die dienen nur der Wahrung des Gesichts. In Wirklichkeit wollen ihn die Bosse gar nicht weghaben. Der nächste Bulle wird vielleicht nicht mehr zulassen, daß sie die Dinge unter sich ausmachen, und sie werden sich vielleicht nicht mehr auf sein Wort verlassen können, wie sie es bei LaPointe stets konnten.
Trotz dieser unausgesprochenen Übereinkünfte gibt es keine stillschweigende Duldung von Rechtsbrüchen. Von Zeit zu Zeit macht ein Boß einen Fehler. Und dann sperrt LaPointe ihn ein. Etwas anderes erwarten sie auch nicht; LaPointe ist wie das Schicksal – stets vorhanden, immer drohend. Alle Bosse sind katholisch, und dieser Sinn für die über ihren Häuptern schwebende Strafe befriedigt ihr Bedürfnis nach Vergeltung. Die Älteren sind eigentümlich stolz auf ihren Schutzmann und seine spröde Anständigkeit. LaPointe kann man nicht kaufen. Man kann sich mit ihm verständigen, aber kaufen kann man ihn nicht. Er
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