Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit
raschen Blick zur Tür, um sich zu vergewissern, daß niemand lauscht. Dann beugt er sich vor und spricht mit vertraulicher Hast: »Sehen Sie, der Ring der Sieben wird von der Zionistischen Lobby in Ottawa aus gesteuert. Die ersten Beweise gegen sie habe ich vor sieben Jahren gesammelt – beachten Sie die Bedeutung dieser Zahl –, doch erst vor kurzem ist das ganze Ausmaß der Verschwörung zutage …«
Guttmann fährt schweigend mit LaPointe in seinem gelben Sportwagen die Main hinauf. Es ist elf Uhr vormittags und die Straße vollgestopft mit Lastwagen, die Lebensmittel und andere Waren laden, und Fußgängern, die über die Ufer der blockierten Gehsteige quellen, um weiterzukommen. Notgedrungen kommen sie nur im Kriechtempo voran und müssen immer wieder halten. Von Zeit zu Zeit wirft Guttmann dem Lieutenant einen Blick zu und ist überzeugt davon, daß sich die Lachfältchen um seine Augen amüsiert zusammenziehen. Doch Guttmann will verdammt sein, wenn er ihm die Genugtuung gäbe, als erster davon anzufangen.
Also ist es an LaPointe zu fragen: »Haben Sie aus Mr. W--- ein Geständnis rausgekriegt?«
»Viel hat nicht gefehlt, Sir.«
»Haben Sie was über Schaumgebäck erfahren?«
»Was, bitte? In welchem Zusammenhang sollte er was von Schaumgebäck erwähnt haben?«
»Nun, weil er das immer …« LaPointe lacht und nickt. »Fast hätten Sie mich geschafft, mein Sohn. Natürlich haben Sie was von Schaumgebäck zu hören gekriegt, stimmt's?« Er lacht von neuem.
»Sie hätten mich warnen können, Sir.«
»Mich hat das erste Mal auch keiner gewarnt. Ich war überzeugt, er legt mir sein Geständnis schon beim Reinkommen auf den Tisch.«
Guttmann stellt sich LaPointe als Gelackmeierten vor, nach vorn gebeugt, um ja kein Wort zu verpassen, so wie er selber vorhin dagesessen hatte. Jetzt muß auch er lachen. »Ich nehme an, dieser Mr. W--- ist völlig harmlos.«
»Sehen Sie sich vor dem Knaben bloß vor!«
»Ich hab' ihn gesehen! Jesus Christus, Sir.«
»'tschuldigung. Ja, er ist völlig harmlos, glaube ich. Vor ein paar Jahren hatten wir einen delikaten Fall. Da hatte man Ihren Mr. W--- mit einem jungen Mann in einer öffentlichen Toilette erwischt. Der Junge war Jude. Wegen Mr. W---s Familie wurde die Sache vertuscht, und vor Morgengrauen waren sie wieder draußen. Aber die Angst vor dem Skandal ist an dem alten Mann nicht spurlos vorübergegangen.«
»Und seitdem kommt er immer, wenn in der Zeitung was von einem Mord steht, her?«
»Nicht bei jedem Mord. Nur wenn das Opfer ein junger Mann ist. Und auch nur, wenn er erstochen wurde.«
»Christus, das ist ja Psychologie im ersten Semester.«
»Der LKW da fährt rückwärts raus!«
»Seh' schon, Sir. Hoffentlich haben Sie's gemütlich.«
»Was meinen Sie damit?«
»Es ist sicher nicht leicht, von da drüben aus zu fahren.«
»Na, na, na! Nun machen Sie schon!«
Guttmann wartet, bis der Laster weg ist, und schießt wieder los. »Ja, das ist wirklich Psychologie im ersten Semester. Die müssen ein Geständnis ablegen. Das Image des Zustechens.«
»Wovon reden Sie eigentlich?«
»Ach, nichts, Sir.« Guttmann findet es eigenartig, daß LaPointe so viel vom Menschen, seinem Wesen und seinen Reaktionen versteht und gleichzeitig derart ungebildet ist. Er bezweifelt, daß der Lieutenant Worte wie ›Es‹ und ›Über-Ich‹ definieren könnte. Wahrscheinlich kennt er ihre Funktion, ohne von den Begriffen oder gar der Theorie auch nur eine Ahnung zu haben.
Inzwischen haben sie den schlimmsten Stau hinter sich, fahren die St. Laurent immer in nördlicher Richtung und erklimmen die Anhöhe mit dem traurigen kleinen Park im Carré Vallières, der zwischen der Main und der St. Dominique eingeklemmt liegt. Es ist ein dürftiges kleines Dreieck rußigen Schmutzes, kein Gras, nur sechs, sieben verdorrte Bäume. Dazwischen stehen drei Bänke aus verwittertem, ehemals grün gestrichenem Holz, wo im Sommer alte Männer Dame spielen und sich im Herbst in ihre Mäntel einmummeln und vor sich hinstarren oder mit leerem Blick die Vorübergehenden mustern. Aus einem ihm unerfindlichen Grund muß LaPointe beim Anblick dieses Fleckchens Erde immer an seine Pensionierung denken. Er sieht sich dann ein, zwei Stunden auf einer dieser Bänke sitzen – immer im Winter, und immer im Schnee und im hellsten Sonnenschein. Dicht an der Bank, die er für sich ausgesucht hat, braust der Verkehr der oberen Main vorbei, und der Geruch von Dieselölabgasen geht nicht mehr raus
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