Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit
Canducci auf und sieht LaPointe in die Augen. Er kann die Lachfältchen nicht ausstehen. Langsam kommt er um den Tisch herum auf LaPointe zu. Von den Rowdies geht ein innerer Druck aus, und Guttmann sieht sich um, welche beiden er wohl zuerst wird niederschlagen müssen, um die Arme frei zu kriegen. Canduccis Herz hämmert unter seinem gelben Seidenhemd gleichermaßen vor Wut wie vor Angst. LaPointe hatte recht: Ohne Publikum hätte er niemals diesen Ton angeschlagen. Jetzt bleibt ihm nichts anderes übrig, als so weiterzumachen.
Er bleibt, mit dem Schaft seines Queues leicht auf die Handfläche schlagend, vor LaPointe stehen. »Wissen Sie was, Franzmann? Für 'n alten Mann riskieren Sie allerhand.«
LaPointe spricht über die Schulter zu Guttmann: »Hier können Sie etwas lernen, mein Sohn. Dieser Canducci und seine Rowdies sind gefährliche Leute.« Sein Blick bleibt auf Candy Als Augen gerichtet, und immer noch hat er Lachfältchen um die Augen.
»Das können Sie wohl annehmen, Bulle.«
»Ach, ihr seid gefährlich, na sicher. Weil ihr Feiglinge seid. Und Feiglinge sind immer gefährlich, wenn sie rudelweise auftreten.«
Canducci reckt sein Gesicht gegen LaPointe vor. »Sie reden reichlich klug daher, wissen Sie das?«
LaPointe schließt die Augen und schüttelt traurig den Kopf. »Canducci, Canducci … was soll ich Ihnen bloß sagen?« Er zuckt fatalistisch die Achseln, die Handflächen nach oben. Was dann passiert, geht so schnell, daß Guttmann sich nur an unscharfe Bewegungsfetzen und das Geräusch scharrender Füße erinnert. LaPointe holt mit der erhobenen Hand aus, packt den Dandy ins Gesicht und drängt ihn mit zwei schnellen Schritten gegen die Wand. Canduccis Kopf kracht gegen ein dort angeheftetes Pin-up-Girl. LaPointes breite Hand liegt, die Handfläche auf den Mund gepreßt und die Finger über den Augen, wie eine Maske auf Canduccis Gesicht.
»Ganz still!« bellt er. »Eine Bewegung, und er ist seine Augen los!« Um das ganz klarzumachen, drückt er leicht mit seinen Fingerspitzen zu, und Canducci stößt ängstlich einen Schrei aus, den LaPointes Handballen halb erstickt. LaPointe spürt an seiner Hand Speichel aus dem verzerrten Mund.
»Alles setzt sich auf den Boden«, befiehlt LaPointe. »Weg von der Wand! Setzt euch auf eure Hände, Handflächen nach oben! Beine nach vorn gestreckt! Wird's bald – sonst verkauft dieses Arschloch demnächst auf der Straße Bleistifte!« Wieder ein leichter Druck auf die Augen; und wieder ein Schrei.
Die Rowdies wechseln Blicke, keiner will als erster gehorchen. Dann packt Guttmann mit einem Griff, der LaPointe überrascht, einen am Arm und knallt ihn an die Wand. Der Rabauke setzt sich mit einem fast komischen Tempo hin, und die anderen folgen. »Gerade sitzen!« befiehlt LaPointe. »Und die Hände unterm Arsch! Ich will Knöchel knirschen hören!«
Diesen Trick hat er von einem inzwischen verstorbenen alten Polizisten gelernt. Wenn Leute auf ihren Händen sitzen, ist nicht nur jede schnelle Bewegung unmöglich, sie fühlen sich auch fast im selben Augenblick erniedrigt und geschlagen und empfinden ein Gefühl der Niederlage und die erwünschte Passivität der Gefangenenmentalität. Dies ist besonders nützlich, wenn man hoffnungslos in der Minderheit ist.
Keiner spricht ein Wort, und eine volle Minute lang hält LaPointe Canduccis Kopf gegen die Wand gedrückt, die Finger über Gesicht und Augen. Guttmann versteht die Pause nicht. Er sieht zu dem Lieutenant hinüber, der den Kopf hängen läßt und eigentümlich schlapp wirkt. »Sir?« fragt er unbehaglich.
LaPointe holt zweimal tief Luft und schluckt. Das Schlimmste ist vorüber. Der Schwindelanfall ist vorbei. Er reckt sich, packt Canduccis breite knallige Krawatte, reißt ihn von der Wand fort und drängt ihn auf den knallbunten Vorhang zu. Noch ein Stoß am Schultergelenk, und Candy Al stolpert in die Bar. LaPointe geht noch mal zu den sechs jungen Männern auf dem Fußboden zurück. »Sie passen auf sie auf«, sagt er zu Guttmann. »Wenn einer auch nur einen Muskel rührt, hauen Sie ihm eine rein, daß ihm Hören und Sehen vergeht.« LaPointe weiß genau, welche Art Drohung dummdreiste Italienerjungen am tiefsten trifft.
Als er den Vorhang zur Seite schiebt und in die Bar kommt, sitzt Candy Al an einem Tisch und tupft sich mit einem Taschentuch die Augen. »Das wird der Commissioner zu hören kriegen«, sagt er ohne rechte Überzeugungskraft. »Wir leben in einem freien Land. Ihr Bullen seid
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