Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit
nicht da ist. Der Name des Opfers hat nicht in den Zeitungen gestanden. Jetzt muß er die Sache wohl oder übel durchstehen. »Ja, Sir. Der junge Mann, den man in der Seitenstraße gefunden hat, hieß Green.«
Mr. W--- guckt gedankenverloren in die Zimmerecke. »Green«, sagt er und lauscht dem Klang nach. Er seufzt, während er sich auf den Stuhl mit der geraden Lehne setzt, und lüpft die Hosen ein Zollbreit an den Bügelfalten. »Wissen Sie«, sagt er kühl, »ich habe nie gewußt, daß er Green hieß. Green.«
Guttmann hat das dringende Bedürfnis, jemanden bei sich zu haben, einen Zeugen oder einen Stenographen.
Mr. W--- aber hat seine Gedanken schon erraten. »Keine Sorge, junger Mann. Ich werde alles, was ich Ihnen sage, wiederholen. Was mit mir passiert, ist nicht wichtig. Worauf es ankommt, ist, daß alles so diskret wie möglich behandelt wird. Meine Familie … ich weiß, daß ich mich auf Lieutenant LaPointes Diskretion verlassen kann. Doch …« Mr. W--- lächelt höflich ein Lächeln des Bedauerns, sieht aber keinen Grund, einem jungen Mann zu trauen, den er nicht kennt.
»Ich würde nichts ohne den Lieutenant unternehmen.«
»Gut, gut.« Und Mr. W--- scheint gewillt, das Gespräch dabei zu belassen. Mit einem dünnen, höflichen Lächeln auf den Lippen schaut er an Guttmanns Kopf vorbei auf den feuchten, metallischen Himmel vor dem Fenster.
»Sie – äh – Sie sagen, Sie wußten nicht, daß er Green hieß?« suggeriert ihm Guttmann und versucht dabei krampfhaft, seine Erregung nicht in seiner Stimme zu zeigen.
Mr. W--- schüttelt leicht den Kopf. »Nein, das wußte ich nicht. Das muß Ihnen eigenartig vorkommen.« Er stößt ein selbstironisches Lachen hervor. »In der Tat kommt mir das eigenartig vor … heute. Aber Sie wissen ja, wie das so ist. Der gesellschaftliche Moment, wo man sich einander vorstellt, geht meist ungenutzt vorüber, und später erscheint es einem albern, ja sogar unhöflich, den anderen nach dem Namen zu fragen. Ist Ihnen das auch schon mal passiert?«
»Wie bitte?« Guttmann sieht zu seiner Überraschung, daß der Ball plötzlich ihm zugespielt worden ist. »Ach so – ich weiß genau, was Sie meinen.«
Mr. W--- prüft sorgfältig Guttmanns Gesicht. »Ja. Sie sehen aus wie jemand, bei dem man Verständnis erwarten kann.«
Guttmann räuspert sich. »Kannten Sie diesen Green gut?«
»Einigermaßen. Einigermaßen. Er war – das heißt, er starb, bevor wir …« Mr. W--- seufzt, schließt die Augen und drückt sich die Finger in die flachen Augenhöhlen. »Erklärungen wirken immer so bizarr, so unzulänglich. Sehen Sie, Green wußte um die Weiße Verschwörung und den Ring der Sieben.«
»Sir?«
»Am besten, ich fange ganz von vorn an. Erinnern Sie sich an den Kinderreim ›Auf dem Weg nach St. Ives im Morgengrauen / traf ich einen Mann mit sieben Frauen‹? Natürlich haben Sie sicher nie über die Bedeutung der immer wiederkehrenden Zahl Sieben nachgedacht – die Warnung an die christliche Welt vor dem Ring der Sieben und die jüdische Weiße Verschwörung. Nur wenige Menschen haben sich die Mühe gemacht, den Reim auf seinen tieferen Sinn hin abzuklopfen.«
»Aha.«
»Jener arme junge Mr. Green ist unverhofft auf die Bedeutung gestoßen. Und jetzt ist er tot. Erstochen in einer Seitenstraße. Sagen Sie, war dort, wo er gefunden wurde, eine Bäckerei in der Nähe?«
Guttmann guckt nach der Tür und versucht, sich auszudenken, was er tun könnte. »Äh … ja, ich glaube schon. In der Gegend gibt es viele Bäckereien.«
Mr. W--- lächelt und nickt zufrieden. »Ich wußte es. Das hat alles mit der Weißen Verschwörung zu tun.«
Guttmann nickt: »Hat alles mit der Weißen Verschwörung zu tun, ja?«
»Ah! Lieutenant LaPointe hat Ihnen also davon erzählt, nicht wahr? Ja, die Weiße Verschwörung – so nennen sie die ständige Vergiftung der Nichtgläubigen mit weißer Nahrung – Mehl, Brot, Zucker, Schaumgebäck …«
»Schaumgebäck?«
»Da staunen Sie, nicht wahr? Aber Sie können ja nichts dafür. Eine Zeitlang hofften wir wider alle Vernunft, daß Schaumgebäck nicht darunter sein würde. Doch inzwischen haben wir stichhaltige Beweise dafür. Mehr, als Sie unbedingt wissen müssen, darf ich Ihnen nicht sagen. Es gibt keinen Grund, Sie unnötig in Gefahr zu bringen.«
Guttmann lehnt sich in dem Drehstuhl zurück, verschränkt die Finger und legt die Hände auf den Kopf. Wie vor Erschöpfung schließt er die Augen.
Mr. W--- wirft einen
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