Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit
gebracht und war auf dem Heimweg. In einer Seitengasse hörte er Glas klirren. Eine Gestalt fiel aus einem Fenster an der Rückseite der Bank aufs Backsteinpflaster. Drei rannten auf LaPointe zu. Er schoß in die Luft und forderte sie auf, stehenzubleiben. Zwei feuerten sofort – zwei Lichtblitze, aber er konnte sich nicht erinnern, etwas gehört zu haben, weil ihn ein schwerer Schlag in die Brust traf und ihn gegen die Metalltür einer Garage knallte. Er glitt an der Türe zu Boden, den einen Fuß unter sich verdreht, das andere Bein ausgestreckt vor sich. Sie feuerten noch mal, und er hörte, wie der Schlag in das Fleisch seines Schenkels klatschte. Die Kanone in beiden Händen, erwiderte er das Feuer. Einer ging zu Boden. Tot, wie er später erfuhr. Die anderen beiden rannten davon.
Nach der Schießerei war es still in der Straße, bis auf den Wind, der um die Ecke der Garage seufzte. Er saß da, verlor das Bewußtsein, kam wieder zu sich, verlor es wieder, starrte auf seinen Fuß und dachte, wie albern er wirken würde, wenn man ihn so fände, einen Fuß unterm Hintern, den anderen vor sich ausgestreckt.
Es verging eine lange Zeit. Eine Minute vielleicht. Eine sehr lange Zeit. Er schlug die Augen auf und sah eine gelbe Katze vorüberstreichen. Ihr Schwanz hatte einen Knick. Sie blieb stehen und schaute ihn an, eine Pfote erhoben. Ihre Augen waren wachsam, aber kalt. Dann prüfte sie den Boden mit der Pfote – und ging gleichgültig weiter.
Die Wunde in seiner Brust fühlte sich kalt an. Er hielt die Hände darüber, um den Wind abzuwehren. Sein letzter Gedanke war: den Wind abwehren. Darf mich nicht erkälten. Wer sich in dieser Jahreszeit einen Schnupfen holt, wird ihn bis zum Frühjahr nicht mehr los.
Er wußte, daß er sterben würde. Das war ihm völlig klar. Die Tatsache machte ihn eher traurig, als daß sie ihn schreckte.
Viereinhalb Wochen lag er im Krankenhaus. Die Verletzung am Bein war nur eine Fleischwunde, der Schlag in die Brust aber hatte die Aorta gestreift. Die Ärzte sagten was von: Ein Glück, daß er die Konstitution eines Bauern habe. Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus hatte er noch Erholungsurlaub und lungerte in der Wohnung herum, bis er es nicht mehr aushielt. Er war zwar noch nicht wieder im Dienst, aber er machte abends die Runde auf der Main und brachte die Straße zu Bett. Einmal ein Schutzmann …
Bald war er wieder in seinem Büro und erfüllte seine täglichen Pflichten. Er bekam eine dritte Tapferkeitsauszeichnung und ein Jahr später seine zweite Polizeimedaille. Im Quartier Général verbreitete sich der Mythos vom unverwüstlichen LaPointe.
Unverwüstlich, aber nicht unverändert. Irgend etwas hatte sich in seiner Begriffswelt kaum merklich verschoben. Er hatte seinen Tod akzeptiert, hatte vor ihm mit einer solchen Ruhe kapituliert, daß er sich, als der Tod nicht eintrat, aus dem Gleichgewicht gebracht fühlte.
Nach dem Tode seiner Frau hatte er seine Gefühle mit dem Messer des Hasses abgetötet. Jetzt fühlte er sich zum erstenmal wieder einsam, verspürte er eine Einsamkeit, die sich in einer Art melancholischer Milde den Menschen in seinem Revier gegenüber ausdrückte, namentlich den Alten, den Kindern, den Verlierern.
Kurz danach lernte er Moische, David und Martin kennen, seine Freunde, und traf sich mit ihnen regelmäßig zum Pinochle-Spiel. Lediglich ein Rechteck trüben Neonlichts unterbricht die Finsternis auf der Rue Lionais, einer Bierbar, wo sich die Schläger und Krakeeler des Quartiers treffen. LaPointe geht im Geiste die Liste seiner Stammkundschaft durch und beschließt, da mal reinzuschneien. Der Barmann begrüßt ihn laut und mit einem falschen Grinsen. LaPointe weiß, daß die laute Begrüßung ein Warnsignal für die Gäste ist, er ignoriert den Barbesitzer und sieht sich in dem dämmerigen, stickigen Raum um. Dabei fällt ihm ein modisch gekleideter Mann mit dem spitzen, unruhigen Gesicht eines Luden auf. Der Dandy sitzt bei einer Gruppe Rabauken mittleren Alters, deren Gesichter viel von Fusel und Schlägereien zu erzählen wissen. LaPointe steht in der Eingangstür und zeigt auf den Dandy. Als der die Brauen in falschem Erstaunen hochzieht und aufsteht, krümmt LaPointe den Finger.
In dem Moment schnellt einer von den Schlägern, eine Rausschmeißertype mit dem Spitznamen Lollipop, hoch, um seinen Kumpel zu verteidigen. LaPointe schaut den Kerl mit ruhigem und gelangweiltem Blick an und schüttelt langsam den Kopf. Einen Augenblick
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