Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit
verharrt der Schläger regungslos, um das Gesicht zu wahren. Dann zeigt LaPointe mit dem Finger auf den Stuhl, und der Schläger setzt sich brummend hin.
Der Dandy lächelt strahlend, als er auf LaPointe zugeht. »Schön, Sie zu sehen, Lieutenant. Ist das ein Zufall? Ich sagte gerade …«
»Hör auf mit der Scheiße, Scheer. Ich hab' den Lahmen auf der Straße getroffen.«
»Den Lahmen?« Scheer runzelt die Stirn und zwinkert, als müsse er in seinem Gedächtnis kramen. »Jöh, ich weiß nicht, ich kenne niemand, der …«
»Was für 'n Tag ist heute, Scheer?«
»Wie bitte? Was für 'n Tag?«
»Ich warte …«
»Heut ist Donnerstag, Lieutenant.«
»Der wievielte?«
»Ach so – der neunte?«
»Stimmt. Ich will dich bis zum neunten nächsten Monats nicht mehr auf der Straße sehen. Und ich möchte auch keines deiner Mädchen auf dem Strich sehen.«
»Also, bitte, Lieutenant, dazu haben Sie kein Recht. Ich steh' ja nicht unter Arrest.«
LaPointe spielt den Überraschten. »Hab' ich richtig gehört; du sagst, ich habe kein Recht dazu?«
»Nun … ich meinte ja nur, daß …«
»Was du meinst, interessiert mich nicht, Scheer. LaPointe verpaßt dir hiermit eine Strafe. Vier Wochen Hände weg von der Straße. Und wenn ich dich vorher zu Gesicht bekomme, kannst du was erleben.«
»Moment mal –«
»Hast du verstanden, was ich eben gesagt habe, du Arschloch?« LaPointe holt aus und patscht den Dandy mit seiner fleischigen Hand auf die Backe, daß dem die Zähne knirschen. »Hast du verstanden?«
Die Augen des Dandy blitzen vor unterdrückter Wut. »Ja, ich habe verstanden.«
»Wie lange?«
»Vier Wochen.«
»Und wer verpaßt dir eine Strafe?«
Scheers Kinnmuskeln arbeiten, ehe er verbittert sagt: »Lieutenant LaPointe.«
LaPointe schwenkt den Kopf in Richtung Tür. »Und nun raus!«
»Ich will nur den Jungs auf Wiedersehen sagen.«
LaPointe schließt die Augen und schüttelt den Kopf: »Raus!«
Der Dandy will noch etwas sagen, besinnt sich aber eines Besseren und verläßt die Bar. LaPointe dreht sich um und will ihm nachgehen, bleibt dann aber stehen und beschließt, die Koje zu inspizieren. Mit seinem kampflustigen Aufspringen hat dieser Lollipop eine Kontrolle geradezu herausgefordert. Das ist gefährlich, denn wenn LaPointe zuläßt, daß solche Typen sich ermutigt fühlen, könnten sie ihn zu Mus schlagen. Sein Image in der Straße muß erhalten bleiben, weil der Schatten seiner Autorität weiter reicht, als seine Gegenwart es je vermag. Er geht auf die Koje zu.
Die drei Schläger tun so, als ob sie ihn nicht sehen. Sie gucken auf ihre Bierflaschen.
»Du, Lollipop«, sagt LaPointe, »warum bist du aufgestanden, als ich deinen Kumpel rübergerufen habe?«
Der massige Mann schaut nicht auf. Er preßt die Lippen zusammen, entschlossen, zu schweigen.
»Ich glaube, du hast dich nur aufgespielt, Lollipop«, sagt LaPointe ruhig.
Der Schläger zuckt die Achseln und schaut weg.
LaPointe greift sich die halb ausgetrunkene Bierflasche des Schlägers und gießt sie ihm auf den Schoß. »Jetzt bleibst du hier 'ne Weile sitzen. Möchte dir nicht raten, so auf die Straße zu gehen. Man könnte denken, du hast dir in die Hosen gepinkelt.«
Beim Rausgehen hört LaPointe zwei der Schläger lachen, während der dritte wütend vor sich hinbrummt.
Genau das Richtige, denkt LaPointe, genau die Sorte Geschichten, die sich rumsprechen.
Er geht die Avenue Esplanade hoch. Seine Wohnung liegt im zweiten Stock einer Häuserreihe gegenüber dem Parc Mont Royal. Über dem Park schwebt das leuchtende Kreuz auf dem Mont. Der Wind beutelt seinen Mantel und schlägt die Schöße hin und her. Die Beine sind ihm schwer, als er zu seiner Wohnung emporsteigt.
Er schließt die Tür auf und tippt leicht auf den wackeligen Kippschalter. Zwei der vier Birnen in der rot-grünen Imitation einer Tiffanylampe sind ausgebrannt. Er zerrt sich den Mantel runter und hängt ihn an den hölzernen Garderobenständer. Dann geht er wie gewohnt in die kleine Küche und setzt Wasser auf. Die Düse des Gasherdes ist mit altem Fett verschmiert und muß mit einem Streichholz angezündet werden. Der blaue Flammenring springt seine Finger an und versengt sie fast, wie immer. Er zuckt zurück und flucht, wie immer.
Er geht ins Schlafzimmer und pflanzt sich schwergewichtig aufs Bett. Licht spendet eine Straßenlaterne unter seinem Fenster, die die Zimmerdecke und eine Wand erhellt, den Fußboden und die Möbel aber im Dunkeln läßt. Er
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