Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit
auf dem Rücken schleppen müsse.
Pater Martin fröstelt, und seine Augen sind feucht vor Kälte, als er den andern die Hände schüttelt und gute Nacht wünscht. Moische fragt ihn, warum er keinen Schal trägt, und Martin antwortet, er habe ihn irgendwo verloren, macht gar einen Witz über seine Zerstreutheit. Er sagt noch einmal gute Nacht und geht die Straße rauf; dabei stemmt er sich gegen den Wind. LaPointe und Moische gehen zusammen in die andere Richtung; sie stößt der Wind vorwärts. Drei Wohnblöcke gehen sie immer gemeinsam, manchmal plaudernd, manchmal schweigend, das hängt ganz von ihrer Stimmung und der Stimmung des Abends ab. Heute gehen sie schweigend nebeneinander her. Weil die Stimmung heute abend ungewöhnlich gespannt und … persönlich war. Es ist kurz nach elf, und obwohl die Stadt jetzt hier fast verödet ist, wird der Verkehr auf der unteren Main noch im vollen Gange sein. LaPointe will einen letzten Kontrollgang machen und die Straße zu Bett bringen, ehe er in seine Wohnung zurückkehrt. Einmal ein Schutzmann …
Moische gluckst in sich hinein. »Ach, zu viel Schnaps. Ich hab' mich zum Narren gemacht, was?«
LaPointe läuft ein paar Schritte weiter und sagt: »Nein.«
»Vielleicht ist es das Wetter«, witzelt Moische. »So ein Sauwetter muß einen ja fertigmachen. Weißt du, es ist ganz erstaunlich, wie das Wetter auf die Persönlichkeit wirkt. Das wird erst besser, wenn der Schnee kommt.«
LaPointe nickt.
Sie gehen über die Straße und steuern auf einen Block zu, der im Neonlicht einer Spielhalle erstrahlt und von Musikbox-Klängen widerhallt. Auf der anderen Straßenseite geht ein Mädchen. Sie ist jung und unnatürlich dünn und knickt die mageren Beine ein, wie sie auf ihren modischen Schuhen mit hohen Sohlen dahinschaukelt. Sie hat keinen Mantel an, und ihr kurzer Rock enthüllt die Kluft zwischen ihren mageren Schenkeln. Sie ist nicht älter als siebzehn und friert erbärmlich.
»Siehst du das Mädchen da, Moische?« sagt LaPointe. »Glaubst du, die begeht die größte Sünde?«
Moische wirft einen Blick auf das Mädchen, als sie an einer Bar vorübergeht und durch die Fenster nach Kunden Ausschau hält, die nicht allzu betrunken sind. Er wendet die Augen ab und schüttelt den Kopf.
»Nein, Claude. Den Mädchen mach' ich keinen Vorwurf. Die sind die Opfer. Das war' so, als wenn man einem Mann, der vom Bus überfahren wird, erklärt, wenn er nicht da gewesen wäre, hätt's auch keinen Unfall gegeben. Nein, ich mache ihnen keinen Vorwurf. Sie tun mir nur leid.«
LaPointe nickt. Die Prostitution ist das harmloseste Verbrechen auf der Main, und wenn kein Beischlafdiebstahl im Spiel ist und die Mädchen nicht von Zuhältern von der italienischen Main kontrolliert werden, sieht LaPointe für gewöhnlich darüber hinweg. Ihm tun besonders die Huren leid, die nicht das Geld haben, um in Appartements oder Hotels zu arbeiten – die jungen, die frisch vom Land reinkommen, blank und frierend, oder die alten, die nur noch bei Betrunkenen ankommen und die es im Stehen machen müssen, in einer Seitenstraße, Rock hoch, den Hintern gegen eine kalte Backsteinmauer gedrängt. Sie tun ihm leid, aber sie ekeln ihn auch an. Andere Verbrechen erregen in ihm Ärger, Angst, Wut und Hilflosigkeit; aber dieser Art wilder Prostitution erregt in ihm ebensoviel Ekel wie Mitleid. Vielleicht ist es das, was Moische mit der Sünde gegen die Liebe meint.
Sie bleiben an der Ecke stehen und geben sich die Hand. »Bis Montag«, sagt Moische, dreht sich um und geht die Straße runter. LaPointe steckt die Hände tief in die Taschen seines ausgebeulten Mantels und geht die Main hinunter.
Als er an einem etwas tiefer gelegenen Hauseingang vorüberkommt, bemerkt er aus den Augenwinkeln eine schwache Bewegung. Seine Hand schließt sich um den Knauf der Pistole. »Raus hier.«
Zuerst ist alles still. Dann lugt ein grinsendes, frettchenhaft spitzes Gesicht um die Ecke.
»Bin nur in Deckung gegangen. Vorm Wind, Lieutenant.«
LaPointe entspannt sich. »Keine Penne gekriegt heute abend?« Er spricht Englisch, weil Dirtyshirt Red nicht Französisch kann.
»Bin okay, Lieutenant«, sagt der Penner und langt sich unter den Kragen, um die dicke Schicht Zeitungspapier zurechtzurücken, die er sich gegen die Kälte unters Hemd gestopft hat. »Ich schlaf hier fast immer. Keiner sagt was. Ich mach' auch keinen Ärger. Will nur nicht zu sehr frieren.« Dirtyshirt Red feixt verschlagen und zeigt LaPointe eine in
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