Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit
Wolkendecke in den frühen Morgenstunden aufgerissen und hat den Rußgestank der Stadt mitgenommen. Die Luft ist still und kristallklar, und das Auspuffrohr eines Streifenwagens, der auf halber Höhe in der kleinen Straße parkt, schießt eine lange Qualmfahne in die Gegend. Ein rotierendes Signallicht auf dem Dach des Wagens schleudert rote Lichtpfeile über die Backsteinmauern und über die Oberkörper und Gesichter eines halben Dutzends Polizisten und Kriminalbeamter, die mit der Leiche beschäftigt sind. Ab und zu erhellt weißblaues Blitzlicht die Straße und läßt die Bewegungen der Männer zu Momentaufnahmen gefrieren, die der Gerichtsfotograf aus allen Blickwinkeln schießt. Zwei Polizeibeamte in Uniform stehen an der Straßeneinmündung Wache. Ihre Augen tränen vor Kälte, und die behandschuhten Finger haben sie wärmesuchend in die Achselhöhlen gesteckt.
Trotz der Kälte und der frühen Stunde hat sich an der Einmündung ein Knäuel Schaulustiger angesammelt. Sie laufen herum und stellen sich auf die Zehenspitzen, um einen Blick zu erhaschen, flüstern untereinander wie Vertraute, auf Anhieb freundschaftlich verbunden durch gemeinsames Erleben.
LaPointe überquert die Straße in dem Augenblick, wo ein Rettungswagen hält. Eine Zeitlang steht er bei den Zuschauern und schließt sich ihnen unaufdringlich an. Triebtäter und Brandstifter mischen sich gern unter die Menge, um die Folgen ihrer Tat zu erleben.
Da steht ein Penner im Gespräch mit einem kleinen, unscheinbaren Mann, der sein Kinn tief in einen dicken Schal verpackt hält. Der Mann wirkt hier ganz fehl am Platze. Er sieht aus wie ein Bankangestellter oder ein Buchhalter. LaPointe legt dem Penner die Hand auf die Schulter.
»Oh, ach so, Lieutenant.«
»Was machst denn du an diesem Straßenende, Red?«
»Ist mir zu kalt geworden in der Einfahrt. Der Wind hat sich gedreht. Bin lieber rumgelaufen.«
LaPointe schaut dem Penner in die Augen. Lügen tut der nicht. »Egal, bleib hier. Haste Pinke?«
»Nichts, was ich ausgeben kann.«
Wie die meisten Clochards hat Red immer ein, zwei Dollar für wirklich schwere Zeiten in der Hinterhand.
»Hier.« LaPointe gibt ihm eine Vierteldollarnote. »Kauf dir 'n Kaffee.«
Mit einer Kopfbewegung deutet er über die Straße auf die Kneipe Roi des Frites, die die ganze Nacht aufhat.
Der Angestellte, Buchhalter oder Päderast nimmt Abstand von dem Penner. Einem, der mit einem Polizisten auf vertrautem Fuße steht, kann man nicht trauen.
LaPointe schaut die Straße rauf und runter. Die Luft ist so kalt und klar, daß die Laternen aussehen, als ob sie glitzerten, und die Häuserecken einen Block weiter haben scharf abgesetzte Ränder wie Kulissen. Der Atem wird zu Dampf, zweistrahlig strömt er aus den Düsen der Nasenlöcher. Von irgendwoher kommt der anheimelnde Geruch von Brot. Die Bäckereien sind um diese Zeit schon in Betrieb; mit nacktem Oberkörper arbeiten die Männer schwitzend in der Hitze der Backstube.
Als LaPointe sich der Seitenstraße zuwendet, geht es los. Ein leichtes, fast angenehmes Prickeln in der Brust, als habe er Kohlensäure im Blut. Verdammt noch mal! Eine rieselnde Mattigkeit überfällt seinen Körper und macht die Knie weich. In seiner Brust zieht sich etwas zusammen, leichte Schmerzwellen schießen bogenförmig durch die Oberarme. Er lehnt sich an die Ziegelmauer und atmet tief und langsam und bemüht sich, so unbeschwert wie möglich zu wirken. Vor den Augen sieht er schwarze Kleckse und helle Punkte. Das auf- und abblendende Rotlicht auf dem Dach des Streifenwagens kommt ins Schwimmen.
»Lieutenant LaPointe?«
Der Krampf in der Brust ebbt langsam ab, und die Stiche in den Armen werden dumpfer.
»Sir?«
Im selben Maße wie das Gefühl des Schwimmens nachläßt, spürt er langsam wieder die Schwere seines Körpers. Er wagt einen tiefen Atemzug in kleinen Absätzen, um festzustellen, ob es noch weh tut.
»Lieutenant LaPointe?«
»Was denn, um Gottes willen?«
Der junge Mann zuckt vor der heftigen Antwort zurück.
»Mein Name ist Guttmann, Sir.«
»Das ist Ihr Problem.«
»Ich arbeite mit Kommissar Gaspart zusammen.«
»Das ist sein Problem.«
»Ich habe Sie vorhin angerufen.« Die Stimme des Beamtenanwärters wird rauh aus Ärger über LaPointes Sarkasmus. »Kommissar Gaspard steht da hinten. Er bat mich, nach Ihnen zu sehen.«
LaPointe brummt: »Na und?«
»Bitte?«
LaPointe läßt seine tieftraurigen Augen auf dem Anwärter ruhen. »Sie sagen, Gaspard erwartet
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