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Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit

Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit

Titel: Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Trevanian
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weg und steht auf, damit er aus seinem Bürofenster auf das Hôtel de Ville sehen kann. An die Seiten des viktorianischen Bauklotzes klammern sich Gerüste, und wo sie bereits abmontiert worden sind, haben Sandstrahlgebläse eine Fassade, die bis dahin eine gemütliche Patina mit dunkelgrauen Akzenten aufwies, zu cremigem Weiß aufgehellt. Diese Sandstrahlreinigung des Gebäudes dauert nun schon monatelang. Das ohrenbetäubende Zischen ist zu einer Konstante in LaPointes Büro geworden und hat das Verkehrsgedröhn abgelöst. Nicht der Lärm stört LaPointe, sondern die Veränderung. Ihm gefiel das Hôtel de Ville so, wie es war, mit seinem verschmutzten Äußeren. Sie ändern alles. Das Gesetz, die Beweisführung, bewährte Verfahren im Umgang mit Verdächtigen.
    Die Welt wird immer komplizierter. Und jünger. Und alle diese neuen Formulare! Diese endlose Papierlawine, die er da, über seiner alten Schreibmaschine hockend, mühsam mit zwei Fingern tippend, bewältigen muß, schimpfend und in die Tasten hauend, wenn er einen Fehler macht …
    … Eigenartig, wenn er daran denkt, daß sie sein Deodorant benutzt. Sich sein ›Mum‹ unter die Arme tut. Er glaubt nicht, daß junge Mädchen ›Mum‹ benutzen. Die nehmen wahrscheinlich lieber diese Modesprays. Er zuckt die Achseln. Nun, das ist wirklich dumm. Was anderes als ›Mum‹ hat er nicht. Und wenn es ihr nicht gut genug ist …
    »Keine Identifizierung«, sagt Guttmann eher zu sich selbst.
    »Was?«
    »Der Bericht des Gerichtsmedizinischen Labors, Sir. Keine Identifizierung des Mannes in der Nebenstraße. Und keine brauchbaren Fingerabdrücke.«
    »Haben die in Ottawa nachgefragt?«
    »Ja, Sir.«
    »Hm-m.« Das Opfer sah ganz nach jemand mit einem Vorstrafenregister aus. Sofort drängt sich ihm eine Möglichkeit auf: Das Opfer könnte ein nicht registrierter Ausländer gewesen sein, einer von denen, die illegal ins Land reinschlüpfen. Die sind für die Main nichts Ungewöhnliches. Die meisten sind völlig harmlos, sind Opfer des Teufelskreises von fehlender Staatsangehörigkeit, deshalb nicht vorhandenem Paß, und Mangel an Mitteln zur legalen Einwanderung, deshalb fehlende Staatsangehörigkeit. In diese Kategorie fallen einige Juden, die seit Jahren in der Straße leben, namentlich solche, die gleich nach dem Kriege aus Lagern in Europa kamen. Die machen zwar keinen Ärger, aber LaPointe weiß alles über sie, und das ist das einzige, was zählt.
    »Was steht sonst noch in dem Bericht?«
    »Nicht viel, Sir. Eine technische Beschreibung der Wunde … Einstichwinkel und dergleichen. Sie untersuchen noch die Sachen.«
    »So.«
    »Was machen wir nun?«
    »Wir?« LaPointe schaut auf den entmutigenden Stoß aufzuarbeitender Akten – Formulare, Memos, Berichte – auf seinem Schreibtisch. »Sagen Sie mal, Guttmann, haben Sie auf dem College auch Maschineschreiben gelernt?«
    Guttmann sagt volle fünf Sekunden kein Wort, dann antwortet er: »Äh – bitte, Sir?« Der ansteigende Ton sagt alles. »Wissen Sie, Sir«, fügt er rasch hinzu, »Kommissar Gaspard hat mich Formulare für sich ausfüllen lassen, als ich ihm als sein Joan zugeteilt wurde. Ich wunderte mich über die Perversion der Ziele des Ausbildungsprogramms.«
    »Über die was?«
    »Die Perversion der … Das war einer der Gründe dafür, daß ich froh war, als er mich für Sie arbeiten ließ.«
    »Aha?«
    »Ja, Sir.«
    »Verstehe. Also, wenn das so ist, dann fangen Sie mal mit dem Zeugs hier auf meinem Schreibtisch an. Wo was zu unterschreiben ist, unterschreiben Sie. Und wo es nötig ist, mit meinem Namen.«
    Guttmann macht eine saure Miene. »Was ist mit Commissioner Resnais?« fragt er, froh über die Gelegenheit, zurücksticheln zu können. »Da war doch ein Memo, daß er Sie sprechen wollte.«
    »Ich bin unten in der Gerichtsmedizin bei Bouvier, wenn jemand anruft.«
    »Und was soll ich dem Büro des Chefs sagen, wenn die anrufen?«
    »Sagen Sie ihnen, ich pervertiere gerade Ihre Ziele … Das war's doch, nicht wahr?«
    Als LaPointe im Untergeschoß aus dem Fahrstuhl tritt, schlagen ihm Gerüche entgegen, die in ihm immer das gleiche Bild hervorrufen: eine Gipsfigur der heiligen Jungfrau mit leuchtend blauen Augen, die ein wenig schielen, und einem Loch in der Wange. Mit diesem Bild geht stets ein bleiernes Gefühl in Armen und Schultern einher. Die muffigen Gerüche der gerichtsmedizinischen Abteilung verbinden sich mit diesem eigenartigen Schweregefühl in seinen Armen. Er hat noch nie

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