Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit
sein, denn er ist ängstlich darauf bedacht, daß niemand es zu sehen kriegt. Er sagt zu seinem Assistenten, er solle darauf achten, daß irgendwas bis zum Nachmittag fertig ist, und der junge Mann geht. Bouvier kratzt sich mit dem stumpfen Bleistiftende den Schädel und ruckt dann den Kopf in Richtung Tür.
»Wer ist da?« fragt er.
»LaPointe.«
»Ah! Kommen Sie rein! Nun kommen Sie schon, um Himmels willen! Wie wär's mit einem Kaffee?«
LaPointe sitzt in einem schäbigen alten Ledersessel unter einem der hohen drahtvergitterten Fenster, die in die Räume des Untergeschosses eine Ahnung von Tageslicht hereinlassen. Bouvier tastet das Bord hinter sich entlang, bis er an eine Tasse stößt. Er steckt den Finger hinein, stellt fest, daß sie naß ist, und schließt daraus, daß es seine Tasse ist. Er tastet nach einer zweiten, findet eine und hält sie dicht vors Auge, um sicherzugehen, daß er keine Zigarettenstummel darin ausgedrückt hat. Nachdem seine Hygieneansprüche befriedigt sind, gießt er die Tasse voll und schiebt sie LaPointe hin.
Auf seine Art ist Bouvier im bunten Völkergemisch des Departments eine legendäre Figur wie LaPointe. Berühmt, natürlich, für seinen Kaffee. Man muß seine Phantasie schon sehr anstrengen, um diese Brühe für Kaffee zu halten. Ebenso berühmt ist er für seinen Schreibtisch, auf dem sich Briefe, Formulare, Memos, Anträge und Aktenordner zu einer Höhe türmen, die gegen das Gesetz der Schwerkraft verstößt. Auch besitzt Bouvier ein legendäres Gedächtnis für minuziöse Einzelheiten abgeschlossener Fälle, ein Gedächtnis, das sich proportional zu seinem langsamen Erblinden entwickelt hat. Mit Hilfe dieses Gedächtnisses gelingt es ihm mitunter, eine Verbindung zwischen scheinbar zusammenhanglosen Fällen oder Geschehnissen zu entdecken. Seine ›interessanten kleinen Einblicke‹ haben gelegentlich zu Lösungen geführt oder dazu, bereits gefundene allzu einfache Lösungen in Zweifel zu ziehen. Diese ›interessanten kleinen Einblicke‹ sind allerdings nicht immer willkommen, weil sie zuweilen Akten öffnen, die jeder lieber geschlossen lassen würde.
Wie LaPointe ist Bouvier Junggeselle und steckt enorm viel Zeit in die Innereien des QG, wo seine Aufgaben weit über die eines Pathologen hinausgewachsen sind. Seine Machtbefugnisse haben sich bei jedem Ausscheiden eines Beamten oder bei einer neuerlichen Umorganisation ausgeweitet, haben das entstandene Vakuum ausgefüllt, bis sein Aufgabengebiet, wie er selber zugibt, nunmehr so umfassend ist, daß das Department zwei Tage nach seinem Abgang zusammenbrechen würde. Nicht daß er jemals vorgehabt hätte zu gehen. Nach dem Medizinstudium ging er zur Armee, bei der er den ganzen Zweiten Weltkrieg über diente. Als er abging, war das Geld knapp, und er ging vorübergehend zur Polizei, um später eine eigene Praxis zu eröffnen. Die Zeit verging, und seine Augen wurden immer schlechter. Er blieb im Department, weil, wie er immer sagte, es das Vertrauen der Patienten untergraben könnte, wenn er als Gehirnchirurg seine Behandlung mit den Worten beginnen müßte: »Und nun führen Sie bitte meine Hände direkt an Ihren Kopf.« Bouvier sitzt auf einem Küchenstuhl hinter seinem vollbepackten Schreibtisch und schnieft, während er die Brille hochschiebt, die ihm dauernd auf die Knollennase rutscht. Die Brille ist ihm vor ein paar Jahren kaputtgegangen und am Steg mit schmutzigem Klebeband geflickt. Dieser Tage will er sich eine neue kaufen.
»Also?« fragt er, als LaPointe seine wieder vollgegossene Tasse mit der Hand umfaßt. »Ich nehme an, Sie sind hier wegen diesem Bengel, der da in Ihrem Revier abgestochen worden ist. Was Besonderes an dem Fall?«
LaPointe zuckt die Achseln: »Bezweifle ich.«
»Gut. Weil ich nicht glaube, daß Sie ihn abschließen werden. Wenn Sie sich die Zeit nehmen und meinen klar und doch fachlich glänzend abgefaßten Bericht lesen, werden Sie sehen, daß die in Ottawa keine Fingerabdrücke haben. Wo wir doch alle deren besondere Bedeutung wohl zu würdigen wissen.«
Bouviers Verbitterung darüber, als Polizeipathologe enden zu müssen, äußert sich in Sarkasmus und Zynismus und in einer Sprache, in der sich Bildungsfetzen mit Vulgarität und Galgenhumor mischen. Dazu kommt eine sprunghafte und scheinbar zusammenhanglose Gesprächstaktik, die viele blendet und einige beeindruckt.
LaPointe hat längst gelernt, dieser Technik zu begegnen, indem er einfach abwartet, bis Bouvier zur Sache
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