Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit
Guttmann, »tauchen Sie seinen Kopf in kaltes Wasser und machen Sie ihn ein bißchen sauber. Dann bringen Sie ihn in mein Büro.«
Guttmann kramt in seinen Taschen und betrachtet dabei den nach Urin und Wein stinkenden Haufen Lumpen. »Tut mir leid, Sir, aber ich habe kein Zehn-Cent-Stück.«
»Der Apparat nimmt auch Fünfundzwanziger.«
»Ich hab' überhaupt kein Kleingeld.«
Mit unendlicher Geduld fördert LaPointe aus den Tiefen seiner Manteltasche einen Vierteldollar zutage und hält ihn zwischen Daumen und Zeigefinger hoch: »Hier. Dies nennt man einen Quarter. Er setzt Automaten in Gang. Er setzt auch Telefone in Gang. Was würden Sie tun, wenn Sie von einer öffentlichen Zelle aus einen Notruf machen müßten und kein Kleingeld bei sich haben?«
»Ich hab' mich notdürftig in meine Sachen geworfen und bin rübergekommen, als sie angerufen haben. Ich hab' noch nicht mal –«
»Man hat immer Geld zum Telefonieren bei sich. Das kann unter Umständen jemandem das Leben retten.«
Guttmann nimmt den Quarter: »All right, Sir. Danke für den guten Rat.«
»Das war kein Rat.«
Guttmann steckt den Quarter brüsk in den Schlitz. Welcher Teufel reitet eigentlich den Lieutenant? Schließlich hat man doch nicht ihn mit einer Biene aus dem Bett gerissen und ihn herzitiert, um einen Besoffenen trockenzulegen, der sich in die Hosen gemacht hat.
Als LaPointe gerade das Zollbüro verlassen will, um sich in sein Büro einen Stock höher zu begeben, hält er in der Tür inne. Er schnieft und reibt sich die Backe. Er ist nur auf einer Seite rasiert. »Schaun Sie, es tut mir leid. Ich … bin müde, weiter nichts.«
»Ja, Sir. Wir sind wohl alle müde.«
»Sagten Sie, es war das erste Mal mit Ihrer jungen Dame?«
»Das erste Mal, sicher. Und wahrscheinlich auch das letzte Mal.«
Guttmann ist noch immer verstimmt und verletzt.
»Na, ich hoffe doch nicht.«
»Ja, Sir. Ich auch nicht.«
Es dauert eine volle halbe Stunde, bis die Tür zu LaPointes Büro aufgeht und Guttmann, den Vet am Arm, hereinkommt. Der alte Tramp sieht bleich und elend, aber nüchtern aus. Zumindest nüchtern genug. Den ausgebeulten alten Mantel und den breitkrempigen Hut hat man ihm abgenommen, und am Kragen und vorn am Hemd ist er naß von der Katzenwäsche, die Guttmann ihm über einem Becken auf der Herrentoilette verpaßt hat. Das Haar ist triefend naß und liegt, mit den Fingern zurückgekämmt, in fettigen Strähnen an. Über der Augenbraue ist, halb verdeckt von einer über der Stirn liegenden Haarsträhne, eine kleine Platzwunde sichtbar.
»Haben Sie ihn geschlagen?« fragt LaPointe.
»Nein, Sir. Er hat sich den Kopf am Beckenrand aufgeschlagen.«
»Können Sie sich vorstellen, was ein Anwalt daraus machen würde? Schikane war' gar kein Ausdruck.« LaPointe wendet seine Aufmerksamkeit dem Tramp zu. »Okay, Vet, setz dich.«
Der alte Tramp folgt widerwillig. Jetzt, wo seine erste Panik vorüber ist, schlägt wieder was von seinem arroganten Hochmut durch, und er versucht, sich gleichgültig und überlegen zu geben, trotz des Weingestanks, der ihn begleitet.
»Geht's jetzt besser?« fragt LaPointe.
Der Vet gibt keine Antwort. Er hebt den Kopf und schaut LaPointe unsicher an. Den beabsichtigten Eindruck der Verachtung verwässert ein unkontrollierbares Wackeln des Kopfes.
LaPointe hat den Vet nie leiden können. Er hat zwar Mitleid mit ihm, doch der Vet gehört zu den Menschen, denen gegenüber sich in das Gefühl des Mitleids immer auch Verachtung, ja Ekel einschleichen.
»Was zu rauchen?« fragt der Vet.
»Nein.« Sowie der Vet anfängt, sich sicher zu fühlen, ist mit ihm kein Auskommen. Am besten, man hindert ihn daran, plump vertraulich zu werden. »Ich hab' dir gesagt, wir würden dich nicht einsperren«, sagt LaPointe und lehnt sich in seinem Sessel zurück. »Ich will ganz offen zu dir sein. Die Sache ist noch nicht ganz ausgestanden. Du kannst eingesperrt werden oder auch nicht.«
Mit fast schon komischer Plötzlichkeit bricht die Pose des Tramps zusammen. Seine Augen flackern, und sein Atem wird zu einem Keuchen. »Ich kann in keine Zelle. Ich dachte, Sie verstehen das! Ich bin im Krieg verwundet worden.«
»Das interessiert mich nicht.«
»Nein, warten Sie! Mich haben sie geschnappt. Als Kriegsgefangenen. Vier Jahre haben sie mich eingesperrt! Sie wissen, was ich meine? Ich hab's nicht ausgehalten. Eines Tages … eines Tages hab' ich angefangen zu schreien. Und konnte nicht mehr aufhören. Sie wissen, was ich
Weitere Kostenlose Bücher