Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit
meine? Ich wußte, daß ich schrie. Ich konnte mich hören. Und ich wollte aufhören, aber ich konnte nicht. Sie wissen, was ich meine? Darum kann ich nicht in den Knast!«
»Schon gut. Beruhige dich.«
Der Vet gehorcht beflissen, um sich bei LaPointe lieb Kind zu machen. Er hört auf zu reden, beißt die Zähne fest zusammen. Aber das Summen kann er nicht zurückhalten. Er fängt auf seinem Stuhl zu wippen an. Darf das Stöhnen nicht rauslassen. Darf nicht zu schreien anfangen.
Guttmann räusperte sich: »Lieutenant?«
»Hm-m?«
»Ich glaube, er ist drogensüchtig. Auf dem Arm hat er einen frischen Einstich und ein paar alte Narben.«
»Nein, der ist nicht süchtig, nicht wahr, Vet? Wenn seine Rente alle ist, spendet er illegal Blut für Geld, damit er was zum Trinken hat. Stimmt doch, Vet, was?«
Der Penner nickt eifrig mit noch immer zusammengebissenen Zähnen. Er möchte kooperativ sein, aber er traut sich nicht zu reden. Er hat Angst, den Mund aufzumachen. Angst, daß er losschreit und sie ihn in einen Raum stecken. Wie die englischen Armeeärzte, als er aus der Kriegsgefangenschaft befreit war. Sie steckten ihn in einen Raum, weil er andauernd schrie. Und er schrie, weil sie ihn in einen Raum gesteckt hatten!
Der Vet atmet in kurzen Schnaufern durch die Nase und summt bei jedem Ausatmen. Das Summen besänftigt seinen Drang, zu schreien, gerade so weit, daß er ihn unter Kontrolle hat, so wie man einen Moskitostich nur ganz leicht reibt, weil man sich aus Furcht vor eine Infektion nicht zu kratzen traut.
»Mach dir nichts draus, Vet. Antworte wahrheitsgemäß, und ich sorge dafür, daß du wieder auf die Straße kommst. Recht so?«
Der Tramp nickt. Mit aller Kraft zwingt er sich, langsam zu atmen. Dann lockert er vorsichtig den Biß seiner Zähne.
»Ich tu' alles, was Sie … alles.«
»Gut. Also – gestern abend hast du einem Mann in einer Seitenstraße die Brieftasche abgenommen.«
Der Vet reißt den Kopf hoch.
»Das Geld interessiert mich nicht. Das kannst du behalten.«
Der Vet zwingt sich zum Sprechen: »Geld … weg.«
»Hast es versoffen?«
Er nickt einmal.
»Die Brieftasche will ich haben. Wenn du mir die Brieftasche geben kannst, kommst du frei.«
Der Vet reißt den Mund groß auf und macht drei schnelle, flache Atemzüge. »Ich hab' sie! Ich hab' sie!«
»Aber nicht bei dir.«
»Nein.«
»Wo?«
»Ich kann sie holen.«
»Gut. Ich komme mit.«
Der Vet will das nicht. Seine Augen flackern unruhig durch das Zimmer. »Ich versprech' es.«
»Das genügt nicht, Vet. Du würdest jetzt alles versprechen. Ich geh' mit dir mit.«
Der Vet zieht die Oberlippe stramm über die Zähne und bläht die Nüstern. »Ich kann nicht.« Er fängt an zu schluchzen.
LaPointe schrubbt sich das Haar und seufzt. »Ist es wegen deiner Bleibe? Du willst nicht, daß ich rauskriege, wo du sie hast?«
Der Penner nickt energisch.
»Tut mir leid. Da bleibt nicht anderes übrig. Es ist spät, und ich bin müde. Entweder wir gehen jetzt gleich die Brieftasche holen, oder du kriegst sofort zehn Tage wegen Landstreicherei.«
Der Tramp schaut hilfeflehend zu Guttmann. Der junge Mann runzelt die Stirn und stiert auf den Boden.
LaPointe steht auf. »Okay, damit hat sich's. Ich hab' nicht die Zeit, mir von dir auf der Nase herumtanzen zu lassen.«
»Schon gut!« Der Vet springt auf und schreit LaPointe ins Gesicht: »Schon gut! Schon gut!«
LaPointe legt dem Tramp die Hände auf die Schultern und drückt ihn auf den Stuhl zurück. »Beruhige dich.« Er wendet sich an Guttmann: »Gehen Sie runter und besorgen Sie uns einen Wagen mit Fahrer.«
Bevor er geht, wirft er noch einmal einen Blick auf den Vet, der wieder Trost im Wippen und Summen gefunden hat.
Kaum hat der Polizeiwagen ihn drei Blocks vom Quartier Général und der Drohung, eingesperrt zu werden, fortgebracht, ist das Angstgewinsel des Vet wie weggeblasen, und er tut wieder eingebildet und egoistisch. Er läßt sich nicht etwa herab, mit Guttmann zu sprechen, der neben ihm sitzt, weil LaPointe vorn eingestiegen ist, um dem Uringestank zu entgehen. Statt dessen beugt er sich vor und redet auf den Rücken des Lieutenants ein und erklärt, was geschehen ist, mit lauter Stimme, weil die Wagenfenster offen sind, damit er ja keinen Anfall bekommt. Bitterkalt pfeift der Wind durch den Wagen.
»Ich komme gerade die Straße runter, Lieutenant, da schau' ich zufällig die Seitenstraße rauf und seh' den. Der kniete da … Tief, wissen Sie? Mit der Stirn
Weitere Kostenlose Bücher