Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit
Scheißen und Pissen nicht raus, darum ist es schlimm da unten.«
»Jesus Christus«, sagt Guttmann ruhig.
»Ja. Der lebt in dem kleinen Erdloch, weil er Raumangst hat.«
»Jesus Christus.«
LaPointe lehnt sich zurück und drückt seine kurzgeschnittenen Haare mit der Handfläche glatt. »Und was macht man, wenn man in einem stinkigen Schlammloch wohnen muß? Man protzt herum, natürlich. Man bringt die anderen Penner dazu, einen zu verachten. Und zu beneiden.«
Guttmann schüttelt mit offenem Mund und vor Mitleid und Ekel zusammengekniffenen Augen langsam den Kopf. Wenn LaPointe ihn mit dieser Erzählung hat strafen wollen, ist ihm das vollauf gelungen.
»Ich sag' Ihnen was«, sagt LaPointe. »Kommen Sie mich nicht vor Mittag abholen. Ich brauch' ein bißchen Schlaf.«
Ohne das Licht anzuknipsen, macht er die Tür hinter sich zu und hängt den Mantel auf den Holzständer. Als der Revolver in der Manteltasche gegen die Wand bumst, zuckt er zusammen; er möchte sie nicht wecken.
Im Zimmer ein Knacken und Zischen. Die halbrunde Skala des alten ›Emerson‹ leuchtet in gedämpftem Orange. Der Sender hat abgeschaltet. Warum hat sie das Radio nicht abgestellt? Ach so, er hat vergessen, ihr zu sagen, daß man an dem Knopf auch ruckeln muß, um es abzustellen. Aber warum hat sie dann nicht den Stecker rausgezogen? Dummes Ding.
Die Schlafzimmerdecke ist von der Straßenlaterne unter dem Fenster hell erleuchtet, und er kann Marie-Louises Formen im Bett erkennen, obwohl sie im Schatten liegt. Sie schläft auf der Seite, die Hände unter der Backe zusammengelegt, die Beine wie beim Laufen auseinander. So nimmt sie fast das ganze Bett ein. Er zieht sich ganz leise aus und kippt fast aus den Pantinen, als er sich die Hose auszieht. Als er die Bügelfalten aneinanderlegt, um die Hose über die Stuhllehne zu legen, fällt ihm Kleingeld aus der Tasche. Er zieht bei dem Geräusch eine Grimasse und flucht leise vor sich hin. Er geht auf Zehenspitzen auf die andere Seite des Bettes, hebt die Bettdecke hoch und versucht reinzuschlüpfen, ohne sie zu wecken. Wenn er sich richtig zurechtbiegt, hat er genügend Platz neben ihr, ohne sie zu berühren. Fünf lange Minuten verweilt er so und spürt die Wärme, die von ihr ausstrahlt, doch ist es unmöglich zu schlafen, wenn er bei der leisesten Bewegung sie entweder berührt oder selber aus dem Bett fällt. Schließlich kommt er sich albern vor. Er steht vorsichtig auf, doch die Sprungfedern krachen laut in dem stillen Raum.
… zuerst hatte Lucille bei dem Geräusch stets aufgehorcht. Aber später kicherte sie immer leise bei der Vorstellung, die Nachbarn könnten an der Wand lauschen, entrüstet über das, was da so alles vor sich ging …
Bei dem Geräusch stöhnt Marie-Louise verwirrt auf. »Was ist los?« fragt sie mit belegter, dumpfer Stimme.
Er legt ihr die Hand leicht auf den krausen Haarmop. »Nichts.«
7
»He?«
Er rührt sich nicht.
»He?«
»Hm!« LaPointe schreckt aus dem Schlaf und blinzelt gegen das wässerige Licht, das durch das Fenster kommt. Schon wieder ein grauer Tag mit niedrigen Wolken und einer zerfließenden, schattenlosen Helle. Er kneift die Augen noch mal zu, bevor er sie endgültig aufmacht. Sein Rücken ist steif vom Schlafen auf dem schmalen Sofa, und seine Füße schauen unter dem Mantel vor, den er als Decke benutzt hat. »Wie spät ist es?« fragt er.
»Kurz vor elf.«
Er nickt bleiern, noch immer benommen. Er setzt sich auf und kratzt sich, dümmlich grinsend, am Kopf. Die letzten beiden Nächte haben ihren Tribut gefordert – die Glieder sind steif und der Kopf verschwiemelt.
»Ich hab' Wasser aufgesetzt«, sagt sie. »Ich wollte gerade Kaffee machen, aber ich kenn' mich nicht aus mit Ihrem Topf.«
»Ja, der ist von Anno Tobak. Nur 'n Moment noch. Bin gleich wach. Ich mach's dann.« Er gähnt herzhaft. Der Mantel bedeckt ihn von der Taille abwärts, seine zottige Brust liegt frei. Er reibt sich intensiv das angegraute Haar, weil es ihn juckt.
»Tabernouche!« brummt er.
»Schwere Nacht?« fragt sie.
»Jedenfalls lang.«
Sie trägt wieder Lucilles gesteppten rosa Morgenrock, aber sie ist schon so lange auf, daß sie sich das Haar gebürstet und Lidschatten aufgelegt hat. Im Zimmer ist ein leichter Gasgeruch. Sie ist wohl mit dem Anzünden der Gasheizung nicht ganz zurechtgekommen.
Im Schlaf ist sein Penis aus dem Schlitz der Unterhose gerutscht. Er schiebt ihn wieder rein, als er seinen Mantel aufnimmt und ihn sich als
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