Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit
Kopf. LaPointe geht zurück und fragt, was los sei. Der Pförtner liegt mit einer Erkältung zu Haus im Bett, und sie brauchen einen Schabbesgoj, der das Licht anmacht. LaPointe geht ihm gern zur Hand, und der alte Chasside bedankt sich höflich, aber nicht übertrieben, weil der Lieutenant schließlich im öffentlichen Dienst steht und jeder seine Steuern zahlt. Übertriebene Dankbarkeit hätte den Anschein falscher Demut, und zuviel Demut ist schon halber Stolz.
Er biegt an einer Nebenstraße um die Ecke, und ein feuchter Windstrom schlägt ihm entgegen, als er sich auf die La Jolie France Bar-B-Q zubewegt, das Café, das der Pension des italienischen Jungen am nächsten liegt. Es gehört zu den Lokalen, in denen nur während der Mittagspausen der Firmen Betrieb ist, wenn vornehmlich alleinstehende Arbeiter dort für eine Wochenpauschale ihr Mittagessen einnehmen. Deshalb ist das Lokal leer, als er hereinkommt und nach der durchdringenden Kälte draußen hier auf eine behagliche Wärmemauer trifft. Gleich darauf drängen ihn die beschlagenen Fenster und der Geruch von heißem Fett dazu, den Mantel aufzumachen und abzulegen. Er hat ein paar Lieblingstische, aber auf allen sind noch Essensreste, Krümel, Weinlachen. Es setzt sich lieber an die Bar, die sauber, wenn auch noch feucht vom Drüberwischen ist. Hinter der Bar wäscht ein ganz junges Mädchen mit leerem Blick Gläser in einer Spüle ab, die nicht ganz sauber ist. Sie schaut auf und lächelt, doch ihre Stimme klingt, als ob sie mit ihren Gedanken ganz woanders ist. »Sie wünschen?« fragt sie abwesend.
In diesem Moment stürmt eine drahtige kleine Frau mit orangerot gefärbtem Haar und einer im Mundwinkel hängenden Gauloise, eine 40-Liter-Kanne Milch auf ihrer Hüfte wuchtend, durch die rückwärtige Schwenktür. »Ich kümmere mich schon um den Lieutenant, Süße. Du räum mal die Tische ab.« Brummend und mit gekonntem Schwung hievt sie die schwere Kanne in den Milchspender und fädelt dann die weiße Nabelschnur durch das Loch im Boden. »Was kann ich für dich tun, LaPointe?« fragt sie, ohne die Arbeit zu unterbrechen oder die Zigarette aus dem Mund zu nehmen.
»Nur 'ne Tasse Kaffee, Carrot.«
»Eine Tasse Kaffee.« Sie nimmt ein Schlächtermesser und schneidet schnell das Ende der weißen Röhre ab. Ein paar Tropfen Milch bluten auf den Untersatz aus rostfreiem Stahl. »Bist wohl froh, daß das nicht dein bizoune war?« fragt sie, während sie das Messer in das fettige Wasser stößt und einen Kaffeebecher vom Regal nimmt. »Wirst in deinem Alter nicht mehr allzuviel Gebrauch von ihm machen. Schwarz mit Zucker, nicht wahr?«
»So ist es.«
»Bitte sehr.« Der Becher gleitet leicht über die nasse Theke.
»Manchmal denk' ich, wenn du auch nicht mehr hinter den Häschen her bist, warst du zu deiner Zeit sicher ein ganz schöner botte. Bist weiß Gott kaltblütig genug.« Sie lehnt sich beim Sprechen an die Theke, die eine Faust auf der flachen Hüfte, indes sich der Rauch ihrer Zigarette in den Augen kringelt, die sie gewohnheitsmäßig wegen des beißenden Qualms zusammenkneift. Sie gehört zu den wenigen Menschen, die LaPointe duzen. Sie duzt alle Männer.
»Die ist neu, nicht wahr?« fragt LaPointe und nickt zu dem drallen Mädchen hinüber, das träge Geschirr aufeinanderstellt und dabei aus dem Fenster starrt.
»Nein, die ist gebraucht. Und verdammt gut zu gebrauchen!« Carrot lacht, dann kommt ihr ein Schwall beißenden Rauchs in die Lunge, und sie hustet – ein trockener, keuchender Husten –, doch die Zigarette nimmt sie nicht aus dem Mund. »Neu für dich vielleicht. Die ist schon ungefähr ein Jahr bei mir. Aber seit dem letzten Trubel hier bist du ja nicht dagewesen. Da staunt der Laie, und die Fachfrau wundert sich, ob dein Aufkreuzen vielleicht bedeutet, daß sie in der Klemme ist.« Sie beobachtet ihn, das eine Auge noch verkniffener als das andere.
Er rührt in seinen Kaffee. » Bist du denn in der Klemme, Carrot?«
»In der Klemme? Ich? Neeeiiin. Eine gesetzte Lesbierin mit einer verräucherten Lunge, einem schlechtgehenden Geschäft, einer drückenden Hypothek, zweimal Knast auf dem Buckel und der faulsten Nutte von ganz Nordamerika auf dem Hals? In der Klemme? Keine Spur! Ich bin erst in der Klemme, wenn's kein Henna mehr gibt. Dann bin ich in der Klemme. Das ist das Problem, wenn du nur ein hübsches Frätzchen hast!« Sie lacht heiser, dann fährt ihr trockener Husten in den grau aufsteigenden Zigarettenrauch und
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