Ein Herzschlag danach
aber.«
»Sie lügen. Warum lügen Sie mich an?«
»Für eine Weile waren wir mehr als nur befreundet.«
Ich schüttelte den Kopf und lachte verächtlich.
»Ich habe sie sehr geliebt.«
Ich hörte abrupt auf zu lachen. Wie von selbst flogen meine Hände zu den Ohren, um nichts mehr hören zu müssen. »Aufhören!«, schrie ich. »Hören Sie auf! Warum sagen Sie so was?«
»Es ist die Wahrheit. Ich habe deine Mutter geliebt und eine Zeit lang hat sie meine Zuneigung erwidert.« Er massierte seine Schläfen mit den Daumen und schloss die Augen. »Aber dann tat ich etwas … sehr Dummes. Etwas, was sie mir nicht verzeihen wollte – und ich mache es ihr nicht zum Vorwurf.« Er öffnete die Augen wieder. »Sie lernte deinen Vater kennen und nicht lange danach erwartete sie deinen Bruder. Es war zu spät.«
»Sie – und meine Mutter? Das soll ich Ihnen glauben?« Ich sprang auf. Ich musste weg, weg von hier, weg von diesem Mann.
Bevor ich loslaufen konnte, griff er in seine Tasche. Plötzlich bekam ich große Angst. Aber er hatte nur seine Geldbörse hervorgezogen, suchte ein kleines Stück Papier heraus und reichte es mir über den Tisch. Ich nahm es zögernd entgegen.
Es war ein Passfoto. Schwarz-Weiß. Ein winziges Viereck, in dem zwei Gesichter zu sehen waren. Sprachlos starrte ich auf die Person, die in die Kamera lächelte, ihr langes Haar, das in weichen Wellen über die Schultern fiel, ihre Augen, denen meine Augen so sehr glichen. Es war meine Mutter, daran gab es keinen Zweifel. Und sie sah so glücklich aus. Aber neben ihr war nicht mein Vater. Sondern Demos. Auch das war unbestreitbar, obwohl er auf dem Foto viel jünger aussah. Er hatte ihr beide Arme um die Schultern gelegt und küsste sie auf den Nacken.
Ich legte das Foto auf den Tisch und schob es mit dem Zeigefinger zu ihm zurück. Mein Finger zitterte. Ein Wassertropfen klatschte vor mir auf den Tisch. Ich schaute erstaunt darauf hinab, bis ich merkte, dass ich weinte.
Demos redete leise und eindringlich weiter, fast flehentlich. »Ich habe sie geliebt. Ich liebte ihre impulsive, leidenschaftliche Art, ihren Idealismus. Ich liebte sie, weil sie immer das Richtige tun wollte, koste es, was es wolle. Wie sie immer das Richtige zu sagen wusste. Ich liebte ihre Angewohnheit, sich das Haar aus dem Gesicht zu schieben, genau wie du es gerade tust. Und wenn sie lächelte, erstrahlte ihr ganzes Gesicht.«
Ich musste mehrmals tief Luft holen, bevor ich ihn fragen konnte: »Sie … Sie haben sie also nicht umgebracht?«
»Nein. Das versuche ich dir gerade klarzumachen.«
»Aber wenn Sie es nicht waren, wer war es dann?«
Ich hörte mein eigenes Blut rauschen, lauter als ein Wasserfall.
»Der Senator, für den sie arbeitete, ließ sie ermorden.«
Die Sekunden zogen sich in die Länge. Andrew Burns? Aber er war doch ebenfalls ermordet worden! Ich hatte den Bericht darüber gelesen. Demos war angeklagt und des Mordes für schuldig befunden worden. Ob er wusste, dass bei seiner Gefangennahme die Giftspritze auf ihn wartete? Ich betrachtete ihn mit misstrauisch zusammengekniffenen Augen. »Warum hätte Burns das tun sollen?«
Er runzelte wieder die Stirn und seine Augenlider schienen noch schwerer zu werden. »Weil deine Mutter so einzigartig war wie du. Sie hatte eine Gabe.«
Instinktiv sprang ich auf, blieb aber mit den Füßen an den Querbalken unter der Bank hängen und fiel auf die Knie. Demos beugte sich zu mir herab.
»Hören Sie auf damit! Hören Sie sofort auf, mich zu manipulieren!« Es kam halb wie ein Schrei, halb wie ein Fauchen hervor.
»Ich manipuliere dich nicht, ich schwöre es dir. Hier …« Er bot mir die Hand.
Widerwillig griff ich danach und ließ zu, dass er mich auf die Füße zog. Kaum stand ich wieder, entriss ich ihm meine Hand.
»Was … welche Gabe hatte sie?«, fragte ich leise.
»Sie konnte in die Gedanken anderer Menschen hineinhören – wie Suki.«
Mir stockte der Atem. Demos’ Stimme wurde sanft. »Tut mir leid. Ich weiß, was für ein Schock das für dich sein muss.«
Ein Schock? Der Mann war Weltmeister im Untertreiben. Zwar war ich inzwischen ziemlich gut darin, mit den Überraschungen, Enthüllungen, Überfällen und Entführungen fertig zu werden, die mir neuerdings fast stündlich zustießen, aber das – das übertraf nun alles. Wie hätte meine Mutter eine solche Fähigkeit so lange vor uns verbergen können? Ich selbst hielt meine Kraft seit gerade mal vier Jahren geheim und dachte
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