Ein Hueter erwacht
von Dinesh Pais Sorte war schon auf Nimmerwiedersehen verschwunden, nachdem er sich mit Jug Suraiya angelegt hatte .
»Gilt«, sagte er deshalb nur.
Jug Suraiya entlohnte den jungen Mann, der sich daraufhin mit einem gemurmelten Gruß abwandte, um zu gehen. Doch die Stimme des Alten hielt ihn zurück.
»Warum so eilig?« fragte Suraiya. »Wie wär's mit einem Schluck von meinem besten Tropfen auf den Weg?«
Nun, warum nicht? dachte Dinesh Pai, der auch minderen Tröpfchen nie abgeneigt war.
Aus dem Wust von Dingen ringsum zog Jug Suraiya eine einfache Flasche hervor, öffnete sie, indem er einen Zahn in den Korken grub und daran zog, und dann schenkte er ein - in den Kelch.
»Möge der Wein dir munden«, sagte er und reichte Dinesh Pai den Kelch. »Wer mit solchen Angeboten zu mir kommt, ist stets ein gerngesehener Gast in meinem Hause.«
Dinesh hielt die Nase über den Kelch. Feinwürziger Duft stieg davon auf. In der Tat hatte Jug Suraiya ihm vom Besten eingeschenkt. Trotzdem zögerte er, davon zu trinken. Nicht des Inhaltes wegen, sondern . Wer wußte denn schon, was sich zuvor in diesem alten Kelch befunden hatte?
»Na, was ist?« fragte Jug Suraiya. »Willst du mich beleidigen?« Er lächelte milde - und irgendwie auch seltsam .
»Nein, gewiß nicht«, beteuerte Dinesh. Egal, dachte er, in dem Zeug wird hoffentlich genug Alkohol sein, daß es jeden Keim abtötet...
Er setzte den Kelch an die Lippen und trank. Einen kleinen Schluck erst, dann stürzte er den Rest auf einmal hinunter.
»Was sagst du dazu?« wollte Suraiya wissen. Er sah den jungen Mann auf merkwürdige Weise an; als lauerte er darauf, daß irgend etwas geschah.
Aber Dinesh Pai achtete jetzt nicht mehr darauf.
»Wäre es sehr vermessen, dich darum zu bitten, noch einmal nach-zuschenken?« grinste er.
»Keineswegs.«
Den zweiten Trunk nahm Dinesh Pai langsamer. Ein verdammtes Gebräu hatte Jug Suraiya ihm da eingeschenkt - ein verdammt gutes!
Er hielt den Kelch in die Höhe.
»Weißt du schon, wem du das gute Stück anbieten wirst?« erkundigte er sich. Der Alkohol ließ seinen Ton jovial werden.
Der Alte nickte. »Ich kenne da ein paar Verrückte, die ganz versessen auf solche Sachen sind.«
»So? Wen denn?«
Jug Suraiya machte eine wegwerfende, kaum verhohlen verächtliche Handbewegung.
»Engländer.«
*
Die schwarzen Nebel lichteten sich nur zäh um Radhey Pai herum, als würden sie wie Spinnenfäden in seinem Geist kleben. Je weiter sie von ihm abrückten, desto mehr Raum schienen sie für etwas anderes zu schaffen: Schmerz. Das Zentrum des quälenden Pulsierens saß in Radheys Hinterkopf, und von dort aus breitete der Schmerz sich in Wellen aus, ritt auf seinen Nervenbahnen bis in die entlegensten Bereiche seines Körpers. Der wiederum schien Radhey wie aus Blei oder Stein, so schwer jedenfalls, daß er ihn kaum zu bewegen imstande war. Zudem die geringste Regung den Schmerz in seinem Kopf neu anfachte.
Irgendwann und irgendwie schaffte er es, sich zumindest auf Hände und Knie aufzurichten. In dieser Haltung jedoch mußte er minutenlang verharren, so lange eben, bis der Schmerz auf ein erträgliches Maß herabgesunken war.
Der Gedanke an seinen Bruder Dinesh half ihm ein wenig dabei, den Schmerz wenigstens teilweise zu ignorieren.
Dinesh, dieser Schuft! Ach was, Schuft - ein Gauner war er, ein Verbrecher! Radhey hatte nicht übel Lust, den Bruder nie mehr ins Haus zu lassen. Der Kerl machte ihm das Leben stets schwer und manchmal zur Hölle. Damit mußte endlich Schluß sein. Radhey würde darüber nachdenken, wie er Dinesh loswerden konnte. Spä-ter ... Wenn das Denken nicht mehr so fürchterlich weh tat ...
Im Moment hatte Radhey Pai nur eines im Sinn: Er mußte irgendwie die Strecke bis hin zu seinem Bett überwinden. Und dann wollte er nichts anderes als schlafen, so lange, bis der Schmerz vergangen war. Einen ganzen Tag lang, wenn es sein mußte.
Doch kaum verliefen Radheys Gedanken wieder in halbwegs geordneten, wenn auch simplen Bahnen, drängte sich ihm einer auf, der nach wie vor nicht sein eigener, wohl aber inzwischen altbekannt war: der Gedanke an den Kelch.
»Ich habe versagt .«
Die Worte kamen Radhey unbewußt über die Lippen, leise und schwach und doch auch verzweifelt. Als bedauere er aus tiefstem Herzen, daß ihm der Kelch abhanden gekommen war.
»Muß ... ihn ... zurück ... holen«, keuchte er matt, und wieder gegen seinen Willen. Fremde Kraft drängte schmerzhaft in seine Glieder und zwang
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