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Ein Hueter erwacht

Ein Hueter erwacht

Titel: Ein Hueter erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vampira VA
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selbst das fiel in dem Gewirr schmaler und winziger Gassen mitunter schwer, denn oft genug war der Himmel der drangvollen Enge wegen kaum auszumachen. So herrschte also auch jetzt, zu dieser späten (oder schon wieder frühen) Stunde ein wahres Tausendundeine-Nacht-Gewoge in den Ladenstraßen und - sträßchen, und die Gerüche, die aus den verschiedenen Geschäften wehten, vermengten sich zu einer bisweilen geradezu benebelnden Mixtur, die so manches Rauschmittel in der Wirkung noch übertraf.
    Dinesh Pai kam sich in der Menge vor wie ein Fischlein, das gegen den Strom zu schwimmen hatte. Immer wieder wurde er von seinem eigentlichen Weg abgedrängt, und ein ums andere Mal sprachen Bekannte und Freunde ihn unvermittelt an, um ihn für ein Schwätzchen aufzuhalten. Aber jeden von ihnen speiste Dinesh mit ein paar unwirschen Worten ab, um gleich weiterzueilen, fast so, als brenne ihm der Boden unter den Füßen.
    Und so weit war der Vergleich nicht einmal hergeholt: denn tatsächlich hatte Dinesh Pai seit geraumer Zeit schon das unangenehme Gefühl, als würde etwas Brennendes ihn vorantreiben; ein Feuer, das direkt auf seiner Haut lohte - dort, wo er den merkwürdigen Kelch unter seinem Gewand verborgen hielt.
    Ein klein wenig bereute er, Radhey den Kelch abgenommen zu haben. Weil es schlicht kein gutes Gefühl war, das Ding bei sich zu tragen. Die Aussicht auf den Verkaufserlös jedoch machte es ihm erträglich. Und zudem würde er ja gleich am Ziel sein.
    Im Grunde, dachte er, konnte Radhey froh sein, daß er, Dinesh, ihm den Kelch abgeluchst hatte. Denn mit dem Geld, das er dafür bekommen würde, konnte er sich gewiß eine ganze Weile über Wasser halten - und Radhey würde in dieser Zeit nicht für den Unterhalt seines Bruders aufkommen müssen. Daß Dinesh den Erlös nicht mit Radhey teilen würde, gereichte dem Jüngeren überdies noch zum Vorteil - weil das Geld dann länger für Dinesh reichte .
    Er grinste häßlich und erntete erstaunte Blick derjenigen, die ihm gerade begegneten und meinten, sein Grinsen gelte ihnen.
    Das Basarviertel Delhis war eine Welt für sich. Zum großen Teil bestand es aus belebten Gassen, doch gab es auch welche, in die nur vereinzelt jemand vordrang. In diesen Bereichen schien ewige Nacht zu herrschen, Schatten nisteten wie lauernd in Winkeln und Ecken, und aus dem Dunkel heraus fühlte jeder Eindringling sich von unsichtbaren Augen beobachtet.
    Dinesh Pai kannte das Gefühl zur Genüge, schließlich trieb er sich oft genug hier herum, trotzdem vermochte er sich nicht daran zu gewöhnen und schauderte jedes Mal aufs neue, wenn er herkam. Seine überreizten und vom Alkohol ohnedies stimulierten Sinne gaukelten ihm Bewegung vor, wo keine war, und ließen ihn zischelnde Stimmen hören, die direkt in seinem Kopf zu wispern schienen.
    Eine elende, verfluchte Gegend war das, und Dinesh wünschte, die Leute, mit denen er mitunter »geschäftlich« zu tun hatte, würden sich endlich anderswo niederlassen.
    Nur hier und da hing eine Laterne vor einem der Häuser, die dicht an dicht standen und im Grunde nur Teile eines ganzen, gewaltigen Bauwerks waren, weil geheime Schlupflöcher und Gänge sie miteinander verbanden. Die trüben Lichter schufen kaum Helligkeit, sondern waren nur Markierungspunkte, die eine Dunkelheit von der nächsten abgrenzten. Sich hier zu orientieren und den richtigen Weg zu finden, fiel selbst Dinesh Pai schwer. Und gerade jetzt war er schon versucht zu glauben, er hätte sich verirrt. Seufzend hielt er inne - »Dinesh?«
    Der junge Inder ruckte herum. Drei, vier Schritte entfernt glomm eine Lampe in Kopfhöhe an der grauen Mauer, und dahinter im Finstern - rührte sich etwas.
    »Dinesh Pai! Du bist es.«
    Ein Teil der Dunkelheit jenseits des Laternenscheins schien sich zu verdichten, Gestalt anzunehmen, und dann endlich trat diese Gestalt hervor. Eine ebenso furchteinflößende wie mitleiderregende Gestalt . So spindeldürr, daß man meinen mochte, es befände sich nicht die geringste Faser von Fleisch zwischen Haut und Knochen. Das Gesicht wie das eines Skeletts, mit braunem, rissigem Leder überzogen. Die Augen tot wie dunkle Glasperlen. Der Mund eine dunkle Höhlung, aus dessen schwärzlichem Zahnfleisch nur zwei oder drei gelbliche Zähne ragten, schief wie die Grabsteine eines uralten Friedhofs.
    Dinesh Pai lächelte zufrieden.
    »Jug Suraiya! Welch glückliche Fügung.«
    »Du hast mich gesucht?« fragte der - vielleicht nur scheinbar -Alte.
    »So ist es«,

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