Ein Hut voller Sterne
den Hügeln und sprach mit ihnen und wusste mehr über Schafe als sonst jemand!«, sagte Tiffany mit Nachdruck.
»Da hast du völlig Recht, kein Zweifel.«
»Sie hat nie gegackelt!«
»Gut, gut«, sagte Frau Grad beschwichtigend. »Kannte sie sich mit Medizin aus?«
Tiffany zögerte. »Nur was Schafe betraf«, sagte sie und beruhigte sich. »Aber darin war sie sehr gut. Besonders wenn es um Terpentin ging. Sie war immer. einfach. nur. da. Auch wenn sie eigentlich nicht da war.«
»Ja«, sagte Frau Grad.
»Du weißt, was ich meine?«, fragte Tiffany.
»O ja«, bestätigte Frau Grad. »Deine Oma Weh lebte oben im Hochland.«
»Im Kreideland«, betonte Tiffany. Das mit der Kreide war wichtig, fand sie.
»Im Kreideland, bei den Schafen, ja, und gelegentlich sahen die Leute zu den Hügeln auf und wussten, dass Oma Weh dort oben war, und sie fragten sich: >Was würde Oma Weh machen?< oder >Was würde Oma Weh sagen, wenn sie dahinter käme?< oder >Würde sich Oma Weh über so etwas ärgern?<. Habe ich Recht?«
Tiffany kniff die Augen zusammen. Es stimmte. Sie erinnerte sich daran, als Oma Weh einem Händler begegnet war, der seinen Esel zu schwer beladen hatte und auf ihn einschlug. Für gewöhnlich hatte Oma Weh nur Worte benutzt, und nie viele. Der Mann war von ihrem plötzlichen Zorn so erschrocken gewesen, dass er ihn über sich ergehen ließ.
Tiffany war ebenfalls erschrocken gewesen. Oma, die nur selten etwas sagte, ohne zehn Minuten vorher darüber nachzudenken, hatte den erbärmlichen Mann zweimal schemenhaft schnell ins Gesicht geschlagen. Und anschließend hatte sich alles im Kreideland herumgesprochen. Zumindest für eine Weile gingen die Leute besser mit ihren Tieren um. Nach der Sache mit dem Händler hatten
Fuhrleute und Farmer monatelang gezögert, bevor sie die Peitsche oder den Stock hoben. Und wenn Oma Weh zusieht ?, hatten sie gedacht.
Aber.
»Woher weißt du das?«, fragte Tiffany.
»Oh, ich habe geraten. Für mich klingt es ganz nach einer Hexe, ob sie sich selbst dafür hielt oder nicht. Nach einer guten noch dazu.«
Tiffany genoss ererbten Stolz.
»Hat sie den Menschen geholfen?«, fragte Frau Grad.
Der Stolz ließ ein wenig nach. Sofort sprang die Antwort »Ja« auf ihre Zunge, und doch. Oma Weh hatte die Hügel kaum jemals verlassen; die einzigen Ausnahmen waren Silvester und frühe Lammungen gewesen. Man hatte sie nur selten im Dorf gesehen, es sei denn, der Händler, der den Fröhlicher-Seemann-Tabak verkaufte, war spät dran — dann war sie eilig herbeigekommen, mit wehenden schmutzigen, schwarzen Röcken, um von den alten Männern genug für eine Pfeife zu schnorren.
Aber es gab im Kreideland niemanden, vom Baron bis ganz nach unten, der Oma Weh nicht irgendetwas verdankte. Und was die Leute ihr schuldeten, ließ sie sie an andere zahlen. Sie wusste immer, wer den einen oder anderen Gefallen brauchte.
»Sie bewirkte, dass sich die Leute gegenseitig halfen«, sagte Tiffany. »Dass sie sich selbst halfen.«
In der folgenden Stille hörte Tiffany das Zwitschern der Vögel am Wegesrand. Es gab hier viele Vögel, aber sie vermisste die hohen Rufe der Bussarde.
Frau Grad seufzte. »Nicht viele von uns sind so gut«, sagte sie. »Wenn ich so gut wäre, würden wir nicht erneut den alten Herrn Weball besuchen.«
Tiffany sagte »Meine Güte« in ihrem Innern.
An den meisten Tagen stand ein Besuch bei Herrn Weball an. Tiffany fürchtete sie.
Herr Weballs Haut war papierdünn und gelblich. Er saß immer im gleichen alten Sessel in einem kleinen Zimmer in einer kleinen Hütte, die nach alten Kartoffeln roch und von einem mehr oder weniger überwucherten Garten umgeben war. Mit geradem Rücken saß er da, die Hände auf zwei Gehstöcke gestützt, gekleidet in einen Anzug, der vor Alter glänzte, den Blick auf die Tür gerichtet.
»Ich sorge dafür, dass er jeden Tag eine warme Mahlzeit bekommt, obwohl er wie ein Vogel isst«, hatte Frau Grad gesagt. »Und die alte Witwe Tussy weiter unten am Weg wäscht seine wenigen Sachen. Er ist einundneunzig, weißt du.«
Herr Weball hatte sehr klare Augen und sprach mit ihnen, während sie aufräumten. Bei ihrer ersten Begegnung hatte er Tiffany »Mary« genannt, und manchmal sprach er sie noch immer mit diesem Namen an. Und er hatte nach ihrem Handgelenk gegriffen und sie mit erstaunlicher Kraft festgehalten, als sie an ihm vorbeigehen wollte. Es war ein echter Schock gewesen, diese Klaue von einer Hand, die sie festhielt. Sie konnte blaue
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