Ein Jahr – ein Leben
genau er seine Rollen spielt! Er war immer ein guter Schauspieler. Als er jung war, fand ich ihn klasse, später, in den achtziger Jahren, hat man ihn oft mehr als Typen gesehen denn als Künstler.
Sie meinen die Zeit, als er Kommissar Schimanski im »Tatort« war, mit großer Schnauze und beiger Feldjacke.
Ja. Heute ist er einer der ganz großen Schauspieler. Die Wahl seiner Figuren ist beeindruckend.
Er hat auch in Helmut Dietls »Zettl« mitgespielt, offenbar einer der Flops des Jahres, von der Kritik zerrissen, vom Publikum gemieden.
Ich habe ihn noch nicht gesehen.
Das sagen zurzeit viele.
Als ich in den Zeitungen vorab von dem sich ankündigenden Desaster las, habe ich überlegt, wie ich mich verhalte. Am selben Tag, als hier in Berlin die Premiere von »Zettl« stattfand, wurde in der Akademie der Künste eine Ausstellung über Mario Adorf eröffnet. Ich bin dann zu Mario gegangen. Ich hatte Angst, auf der Filmpremiere ein Mikro unter die Nase gehalten zu bekommen, um einen Kommentar abzugeben. Ich mag das ohnehin nicht, weil ich immer ein bisschen brauche, um etwas Sinnvolles über einen Film zu sagen. In diesem Fall habe ich geahnt, dass ich den Mikrophonen nicht entgehen würde, und ich mag Helmut Dietl. Ich wollte einfach nicht in den Chor miteinstimmen, ich wollte mich vor den Kameras nicht winden. Wer weiß, vielleicht hätte ich mich ja gar nicht gewunden, aber das Risiko wollte ich nicht eingehen. Also habe ich mit unserem Kulturstaatsminister Bernd Neumann und Klaus Staeck von der Akademie der Künste die Ausstellung eröffnet und bin anschließend mit ihnen essen gegangen. Ich möchte den Film gerne anschauen, ohne den ganzen Hype.
Sie kennen Helmut Dietl, was glauben Sie, wie geht er, der so viele Jahre an dem Film gearbeitet hat, mit einer solchen Reaktion der Öffentlichkeit um?
Helmut hat seinen Figuren, so überspitzt er sie gezeichnet hat, immer eine gewisse Sympathie entgegengebracht, so verkracht sie auch waren. Denken Sie an Mario Adorfs Rolle in »Kir Royal«: »Ich scheiß dich zu mit meinem Geld.« Die Figur ist ein Kotzbrocken sondergleichen, aber eben spielerisch, liebevoll dargestellt. Was ich höre, fehlt dieses Liebevolle in seinem neuen Film. Ich habe zu »Zettl« eine besondere Beziehung, weil ich mal darin vorgesehen war …
… ah ja?
Ja, ich hatte deswegen einige Abendessen mit Helmut, aber irgendwann habe ich nichts mehr gehört, also wusste ich, das wird wohl nichts mehr. Aber gut, das gehört bei Helmut dazu. In den Interviews, die er in den vergangenen Wochen gegeben hat, habe ich jedenfalls eine Lustlosigkeit an der Welt herausgelesen, eine Bitterkeit, ich kann es nicht näher erklären. Nur dass es mir in der Seele wehtut. Denn Helmut hat Film- und Fernsehgeschichte geschrieben. Umso schlimmer ist es, wie jetzt auf ihn eingeknüppelt wird. Was macht er jetzt? Die beiden Filme vorher sind auch schon nicht gut gelaufen. Wie nimmst du da noch mal Anlauf?
Kann man als Künstler tatsächlich irgendwann das Gespür verlieren, das einen einst groß gemacht hat?
Darüber denke ich nach. Davor habe ich auch Angst. Spürt man irgendwann nicht mehr, dass die Umsetzung einer Geschichte nicht stimmt? Spürt man nicht mehr, ob man sich für die richtige Rolle entscheidet? Ich bin sicher, dass Helmut Dietl darüber nachdenkt, er ist ein Analytiker. Ich weiß nicht, vielleicht passiert einem das. Zurzeit beschäftigt mich diese Frage auch bei meinen Lesungen zum Holocaust. Ich merke, das Interesse lässt nach. Vor Jahren noch war das anders, da haben wir 42 Theater gefüllt, mit einer szenischen Lesung, die Michael Verhoeven inszeniert hat. Wir haben zeitgleiche Tagebuchaufzeichnungen von Goebbels denen von Anne Frank gegenübergestellt. Die Häuser waren ausverkauft, quer durch Deutschland, allein dreimal das Berliner Ensemble. Das geht heute nicht mehr, das schaffst du nicht mehr. Die Leute wollen es nicht mehr hören.
Was meinen Sie, haben dieselben Leute kein Interesse mehr? Oder stirbt eine Generation, die sich dafür mehr interessiert hat?
Ich weiß es nicht. Ich spüre es nur an den Ticketverkäufen. Es heißt schon öfter mal, nein, solche Lesungen gehen in unserem Theater nicht mehr. Natürlich müssen wir bei diesem Thema über neue Zugänge nachdenken. Mit Oliver rede ich oft darüber, der sagt mir: »Du kommst immer mit der ganzen Schwere, mit der Vergangenheit. Du könntest doch über die Gegenwart reden, über die vielen jungen Israelis in Berlin zum
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