Ein Jahr – ein Leben
Beispiel.« Er hat natürlich recht, aber mein Zugang wird immer das Erinnern sein. Ich fordere es ein, dass wir uns immer auf der Basis des Erinnerns damit auseinandersetzen. Aber in meinem neuen Programm »Verbrannte Bücher, verfemte Musik« habe ich dann auch versucht, einen anderen Ansatz zu finden. Bis auf zwei politische Texte von Karl Kraus und Bertold Brecht sind es jetzt auch solche von Dichtern wie Tucholsky, Irmgard Keun, Stefan Zweig, Hermann Kesten oder Joseph Roth. Diese Texte, die teilweise ironisch, sarkastisch, manchmal melancholisch sind, spiegeln nur in den seltensten Fällen den ernsten Hintergrund wider. Aber auch diese Literatur wurde als undeutscher Geist denunziert. Ich hoffe, das Publikum darüber zu erreichen. Wenn wir darüber reden, wie es ist, den Nerv des Publikums zu treffen, dann hat es ganz stark mit der eigenen Sicht auf die Welt zu tun. Manchmal denke ich: Die ganze Welt ist erschöpft. Vielleicht stimmt das auch. Vielleicht ist es aber auch nur meine eigene Erschöpfung. Sie haben gerade die Auszeichnungen erwähnt. Anstatt sich die Zeit zu nehmen und sie zu genießen, funktioniere ich eben auch, nehme am nächsten Tag schon wieder Termine wahr, hektisch geht’s von einer Veranstaltung zur nächsten.
In München haben Sie gerade den »Bayerischen Verfassungsorden« verliehen bekommen.
Zum ersten Termin konnte ich nicht, weil ausgerechnet an diesem Tag die Wahl der Filmakademie für den Preisträger des Lebenswerks stattfand, und als Akademiepräsidentin muss ich da anwesend sein. Es gab also einen zweiten Termin für mich und vier andere Nachzügler, die auch eine Medaille bekamen. Das waren die Tage, in denen es nachts minus 20 Grad hatte. Mein Flugzeug ist mit einer Stunde Verspätung gestartet, immerhin, aber trotzdem natürlich viel zu spät. Ich ins Taxi, mit fliegenden Fahnen in die Stadt, springe aus dem Auto, in den Landtag, ab zum Saal, da war Barbara Stamm, die Präsidentin des Bayerischen Landtags, schon mitten in der Verleihung. Und anstatt dass ich mich brav und leise hineinschleiche, platzt es an der Tür aus mir heraus: »Meine Verspätung tut mir so wahnsinnig leid.« Prompt dreht sich der ganze Saal um. »Aber wenn man so eine große Auszeichnung bekommt, darf man auch ein bisschen atemlos sein, oder?« Barbara Stamm hat gelacht, die anderen auch. Damit war aber auch die Peinlichkeit vorbei.
Wenn man Ihr Leben betrachtet, wie Sie von einer Auszeichnung zur nächsten fliegen, hier eine Veranstaltung, da eine Lesung, denkt man …
… dass ich auch mal wieder zur Ruhe kommen muss? Ja, oder? Das empfinde ich auch so. Andererseits passiert aber auch so vieles gleichzeitig. Ich muss Ihnen von Gerhard Richter erzählen, dem Maler, ich habe ihn nämlich kennengelernt, gerade kürzlich in Berlin. Mich ruft eines Tages ein Mann aus Düsseldorf an, 83 Jahre alt, Herbert Schmidt heißt er, und erzählt mir, er habe eine Anthologie mit jüdischen Gedichten zusammengestellt, »Ist es Freude, ist es Schmerz?«, ob ich Lust und Zeit hätte, eine Lesung zur Vorstellung des Buches in Düsseldorf zu machen und ihm eventuell ein Zitat für die Rückseite des Buchs zu geben. Herbert Schmidt ist in der DDR geboren, in den 50 er Jahren mit den Eltern in den Westen, holt auf dem zweiten Bildungsweg Abitur und Studium nach, Jura, spezialisiert sich auf die Rechtsprechung im Dritten Reich, schreibt ein Fachbuch nach dem anderen. Und in den letzten vier Jahren hat er diese unglaubliche Anthologie zusammengestellt, über 300 Autoren auf 1200 Seiten. Er wird also damit nie Geld verdienen, meine Unterstützung jedenfalls hat er bekommen, mein Zitat ist die ganze Wahrheit: »Dieses Buch ist ein Schatz.« Das Bild auf dem Umschlag der Anthologie ist von Gerhard Richter, »Blumen«. Es stellt sich heraus, dass Schmidt und Richter seit den sechziger Jahren befreundet sind …
Plötzlich riecht es etwas merkwürdig im Café Einstein. Paul Berben wedelt schuldbewusst mit dem Schwanz..
»Paul! Du hast gepupst! Brauchst du Aufmerksamkeit?« Ich entschuldige mich für meinen Hund.
Entschuldigung angenommen.
Iris Berben holt ein schwarzes Parfümfläschchen aus ihrer Handtasche, sprüht einmal kurz in die Luft.
Auf Ihrem Parfüm steht ja »Kinski«.
Ja, ist eigentlich ein Männerduft, aber ich bin ihm verfallen. Aber zurück zu Richter. Ausgerechnet an dem Tag, als die Berlinale bereits lief und wir von der Filmakademie unseren eigenen Empfang hatten, am 11 . Februar, wurde die
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