Ein Jahr in Lissabon
aber noch nicht gut genug für eine schlagfertige Replik war. Jetzt aber setzt sich diese Phrase in meinem Kopf fest: Der Depp, der arbeitet, ist natürlich ein Deutscher! Und mit jeder Wurzel, die ich aus der Erde zu zerren versuche, wird der Satz lauter und mein Kopf röter, nicht nur von der Sonne.
An diesem Nachmittag trifft eine Mail von Tiago ein. Es tue ihm wahnsinnig leid, aber er könne diese Woche wieder nicht kommen. Ich solle aber auf keinen Fall alleine weitermachen, sondern warten, bis er zurück sei und mir helfe. Und: Ich solle ihn doch deshalb bitte, bitte, bitte nicht umbringen. Erst schlucke ich. Dann muss ich lachen. Ich sehe mich vor meinem inneren Auge, wie ich mit hochrotem Kopf im Garten stehe und mit der Harke verbissen auf das Unkraut einhaue. Ich sehe, wie die Pflanzen sich vor Schreck in der Erde verstecken. Und ich frage mich nicht mehr, warum der Depp, der arbeitet, ein Deutscher ist, sondern, warum ich Depp so wahnsinnig deutsch bin. Warum ich eigentlich immer denke, dass man jedes Projekt gleich durchpeitschen muss. Warum ich immer gleich Resultate sehen will. Warum ich den Garten nicht einfach so habe lassen können, wie er war, herrlich verwildert und paradiesisch verwunschen. Warumich die „Não corra“-Lektion immer noch nicht kapiert, die Langsamkeit immer noch nicht verinnerlicht habe. Ich klicke auf „Antworten“ und schreibe Tiago zurück, dass ich mir ernsthafte Sorgen um sein deutsches Gen und seine Pünktlichkeit mache, mit der er mich anfangs so beeindruckt habe. Nur ausnahmsweise würde ich ihn nicht umbringen, zur Strafe aber müsse er drei richtig gute Witze erfinden – über die Unzuverlässigkeit der Portugiesen. Und nachdem ich die Mail abgeschickt habe, sage ich meinem Chef, dass ich einen Galão trinken gehe.
Als Tiago in der darauffolgendenWoche kommt, machen wir gemeinsam vielen Pflanzen den Garaus, lassen aber auch ein paar stehen und finden, als wir drei Tage später fertig sind, dass der Garten richtig schön geworden ist. Ein kleines bisschen … ein kleines bisschen … deutsch vielleicht, aber deutsch in einem durchaus positiven Sinne. Deutsch in dem Sinne, dass man hier jetzt zum Beispiel einen Biergarten eröffnen könnte. Was wir natürlich nicht tun werden, denn wir wollen unseren Hortus conclusus für uns behalten. Aber wir verbringen wenigstens die Mittagspause dort, tragen Sitzkissen und ein Verlängerungskabel für die Sandwich-Maschine hinaus in die Sonne, machen Tostas Mistas und essen frische Erdbeeren dazu. Und während wir zufrieden unser Werk betrachten, unterhalten wir uns darüber, wie dicht die Blätter der beiden Ulmen geworden sind und wie schön es wäre, in der Fontäne ein bisschen Wasser zu haben. Und dass der Boden nun so frisch und blank aussieht, dass das Unkraut bestimmt wunderbar wieder nachwachsen wird. Grüner und schöner denn je.
✽✽✽
Es ist nicht ganz richtig, dass ich die „Não corra“-Lektion nicht gelernt habe, ich war ein bisschen zu streng mit mir selbst. Ich glaube, ich habe mich tatsächlich verändert. Aber wie das so ist mit Veränderungen – sie fallen zuerst den anderen auf. Wenn ich mit meinen Freunden in Deutschland telefoniere, sagen sie mir, ich klänge so entspannt, und die, mit denen ich per Skype kommuniziere, meinen, dass ich so glücklich und irgendwie – ja irgendwie relaxed aussehe. Vielleicht ist das übertrieben und liegt einfach nur am Frühling, aber es gibt tatsächlich Indizien dafür, dass ich mich in der „verkehrsberuhigten Zone Lissabon“ besser zurechtfinde:
• Ich habe es schon zwei Mal geschafft, zu spät zu kommen – es war ein hartes Stück Arbeit, ich habe Monate dafür gebraucht, denn auch wenn ich später aus dem Haus und unzählige Umwege gegangen bin, stand ich wie durch Zauberhand trotzdem immer pünktlich zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
• Es macht mich nicht mehr nervös, wenn meine Kollegen erst einmal eine halbe Stunde lang alle Möglichkeiten durchdiskutieren, bevor sie mit einer Arbeit anfangen. Weil ich weiß, dass schon alles seine Richtigkeit hat und wir trotzdem irgendwann fertig werden.
• Ich kriege kein Magengeschwür mehr, wenn die Schlange an der Supermarktkasse immer länger wird, denn ich habe begriffen, dass es keinen besseren Ort für nette Plaudereien gibt als die Warteschleife im Laden.
• Nicht nur ich habe mich verändert – auch mein Portugiesisch hat einen Sprung getan. Ich bin nicht mehr unentwegt „lost in
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