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Ein Jahr in Lissabon

Ein Jahr in Lissabon

Titel: Ein Jahr in Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Roth
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das mit „puta“, Hure, zu verwechseln, und Maria da Fé, die Ehefrau von Gordo, besitzt ein Café nahe der Janelas Verdas, ja, da könne man sie auch live singen hören, abends so ab 22 Uhr. Und nun muss O Senhor Silva, wie er sich mir inzwischen vorgestellt hat, vor Begeisterung aufspringen und Bravo rufen. Denn diese Stimme sei einfach ein Ereignis. Wenn ich mich für Fado interessiere, könne ich übrigens den ganzen Tag den Radiosender „Amália“ hören, da werde ausschließlich Fadogespielt, Frequenz 92,0 – oder war es 93,0 ? Tja, das Gedächtnis, eigentlich funktioniere es noch ganz gut, aber Zahlen könne er sich einfach nicht mehr merken. Und ob ich denn hier im São Luis auch schon mal Schauspiel gesehen habe? Das Angebot sei – oh, dieses Lied ist eines seiner Lieblingslieder, ein Text von Gordo, der von verschiedenen Komponisten vertont worden sei. Wie schade, seufzt O Senhor Silva nun mit einem Blick auf den Programmzettel, der nächste Beitrag ist ja schon der letzte – Anlass genug, um noch einmal aufzuspringen und kräftig zu applaudieren.
    Mindestens einmal pro Woche gehe ich in die Oper, ins Theater oder in die Cinemateca – nicht nur, weil mich alles interessiert, was es zu sehen gibt, sondern auch, weil ich es so genieße, eine Vorstellung mit den Portugiesen zu teilen. Weil ich so gerne zwischen ihnen sitze, gemeinsam mit ihnen nach vorne schaue und Teil des Publikums bin. Eines Publikums, das intensiv Anteil nimmt, gebannt schaut, immer dicht am Geschehen dran ist und zwischendurch auch gerne kichert. Eines Publikums, das sich vor der Vorstellung gegenseitig „um bom espectáculo“ wünscht und sich in der Pause darüber verständigt, dass die Aufführung einfach „fantástico“ sei. Um am Ende allerdings – und das erstaunt mich immer wieder aufs Neue – überraschend kurz zu applaudieren. Leidenschaftlich, laut und vernehmlich zwar, oft schon nach wenigen Sekunden in stehenden Ovationen – doch selten schaffen die Künstler mehr als einen Vorhang.
    Ich mag sowohl die kleinen Theater in Lissabon, die unprätentiösen, funktionalen Black Boxes wie etwa das Teatro do Bairro, als auch die großen, altehrwürdigen: das Teatro Nacional D. Maria II oder eben das São Luis, in dem ich mich gerade befinde. Und ich mag es, dass die Theaterszene hier so familiär ist – schon nach kurzer Zeit kenneich fast alle Künstler namentlich: Bei der Premiere der Theatergruppe Artistos Unidos sitzt im Publikum auch der Schauspieler, den ich neulich als Hauptdarsteller in dem Film „Alice“ gesehen habe. Und wenn ich am nächsten Tag ins Kino gehe, um mir „Assím, assím“ anzuschauen, spielt der Darsteller mit, der bei der gestrigen Premiere den Monolog auf der Bühne gegeben hat. Auch in dieser Hinsicht ist Lissabon ein Dorf.
    Doch jetzt schaltet sich O Senhor Silva wieder ein, denn vielleicht sollten wir nun, wo der Abend noch jung ist, ein Bier trinken gehen, seine Frau habe partout nicht mit ins Konzert kommen wollen, sie habe neuerdings das Internet für sich entdeckt und skype nächtelang mit irgendwelchen Freunden im Ausland, aber was das denn bitteschön für Freunde seien, die nur in diesem anonymen Kasten existierten?
    O Senhor Silva hingegen liebt den direkten Austausch – oder sagen wir besser, die direkte Äußerung, denn die wenigen Male, in denen er Luft holen muss und ich mich wagemutig in die Bresche werfe, um auch mal ein Sätzchen loszuwerden, lassen sich an einer Hand abzählen. „Ele fala pelos cotovelos“ heißt es im Portugiesischen, wenn jemand wie ein Wasserfall redet, „er spricht durch die Ellenbogen“, und ich beginne zu ahnen, dass diese Redewendung einzig und allein für O Senhor Silva erfunden worden ist.
    Eigentlich wollte er Architekt werden, doch dann wurde seine Frau schwanger und er in den Kolonialkrieg nach Mosambik eingezogen – das Studium habe er damit an den Nagel hängen müssen, nur zum Technischen Zeichner hat es gereicht. Aber er habe die Chance gehabt, mit vielen wichtigen Architekten zu arbeiten. Und offensichtlich hatte er nebenbei auch Zeit, sich mit Portugal zu beschäftigen. Denn während wir im Café „A Brasileira“ sitzen und einCerveija trinken, erfahre ich die gesamte Geschichte Portugals, verfolge den Stammbaum sämtlicher Könige hinauf und hinunter und erhalte Empfehlungen, was ich mir alles anzuschauen habe. Nicht nur in Lissabon, auch über die Grenzen der Stadt hinaus. Wenn ich nach Mafra fahre, um den Nationalpalast zu

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