Ein Jahr in Lissabon
Cabeleileiros in dieser Stadt, zu jeder Tages- und Nachtzeit, auch nach dem wildesten Diskothekenbesuch, immer wie aus dem Ei gepellt frisiert ist, ist es schwierig, eine Antwort zu geben. Nicht nur, weil die typische Portugiesin natürlich nicht existiert, sondern auch, weil sich die weibliche Mode in Lissabon möglichst unauffällig verhält: Die ältere Dame neben mir trägt Feinstrick und Rock in gedecktem Braun, die jüngere Dame gegenüber Feinstrick und Jeans in gedecktem Blau. Punkt. Ende. Wesentlich Spektakuläreres ließe sich auch außerhalb der U-Bahn nicht beobachten. Bisweilen findet sich Eleganz in dieser Stadt, nie aber ist sie mondän, eher ein bisschen altmodisch – Dezenz ist nicht nur im Verhalten, sondern auch in der Kleidung gefragt. Eine Lisboeta versucht, so schlicht wie möglich und vor allen Dingen: nicht mit Sex-Appeal um die Ecke zu kommen. Was nicht heißt, dass er nicht vorhanden ist, der Sex-Appeal. Aber er wird nicht getragen, schon gar nicht zur Schau.
Und was ist mit dem portugiesischen Mann? Der portugiesische Mann liebt Cordhosen zu jeder Jahres- und Lebenszeit, Breitcord wohlgemerkt. Er trägt Jackett oder Wildlederjacke, im Winter aber auch gerne mal einen Dufflecoat, was ihm etwas Niedlich-Kindliches verleiht. Unter dem Jackett findet sich ein kariertes Hemd mit einem einfarbigenV-Ausschnitt-Pulli darüber oder, umgekehrt, unter dem karierten V-Ausschnitt-Pulli lugt ein einfarbiges Hemd hervor. Im Gegensatz zur weiblichen Spezies besitzt er allerdings ein äußeres Kennzeichen, das so prägnant ist, dass es sich tatsächlich zum Stilmerkmal erheben lässt: Ohne Schiebermütze, so scheint mir, kann der Portugiese ab fünfzig Jahren aufwärts nicht leben.
Ja, ich weiß, es gibt Modemacher in Lissabon, und im Bairro Alto lässt sich auch der ein oder andere hippe Designerladen finden. Ja, ich weiß, Gucci und Versace haben ihre Läden auf der Avenida da Liberdade. Ja, ich weiß, Lanidor ist eine portugiesische Kleiderfirma. Aber es lässt sich trotzdem nicht leugnen, dass Lissabon nur bedingt dafür geeignet ist, sich stilistisch zu erneuern, weil Mode im Alltag einfach keine bedeutende Rolle spielt. Hier ist nicht Mailand, hier ist nicht Paris, hier ist nicht London. Und davon abgesehen, ist auch die Qualität fragwürdig. Wer neue Klamotten kaufen will, kann zu den üblichen Verdächtigen, den internationalen Ketten, gehen – oder zu den unzähligen Billigläden mit Made-in-China-Ware ab fünf Euro aufwärts. Sogar bei den Schuhen verhält sich das nicht anders, schlechte Qualität zu mittleren Preisen brüllt aus fast jedem Schaufenster heraus – die Zeiten, in denen man sich den guten Lederschuh aus dem Portugal-Urlaub mitgebracht hat, sind vorbei. Denn auch auf diesem Sektor produziert Asien längst billiger, und die portugiesischen Hersteller sind rar geworden. Dabei ist gutes Schuhwerk doch nirgends so sehr vonnöten wie auf dem Kopfsteinpflaster Lissabons, denke ich, während ich die U-Bahn im Chiado per Rolltreppe verlasse und in die Rua António Maria Cardoso einbiege.
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Der ältere Herr neben mir trägt jedenfalls einen sehr guten Schuh. Aus dunkelbraunem Leder, fein geflochten. Überhaupt – alle haben sich ein bisschen herausgeputzt heute Abend, hier im Teatro de São Luis. Eigentlich bin ich gekommen, um mir eine Hommage für José Luis Gordo, einen der wichtigsten und produktivsten noch lebenden Dichter des Fado, anzuschauen. Doch noch ehe die Vorstellung begonnen hat, hat der Mann mit den feinen Lederschuhen mich bereits fest ins Gespräch verwickelt. Wie wunderschön das Teatro de São Luis doch sei, und wie viel Geschichte sich hier abgespielt habe. Ob ich denn den Spruch von Camões schon wahrgenommen habe, der über der Bühne zu lesen sei? Ach, aus Deutschland? Ja, nichts für ungut, aber ich wisse ja bestimmt, dass die Portugiesen Angela Merkel nicht leiden können. Die sei wirklich furchtbar, gegen die Deutschen als solche habe er ja nichts, er sei sogar vor vielen Jahren schon mal im Schwarzwald gewesen, sehr kalt dort, guter Schinken, köstlich, aber die Merkel, nun ja. Sarkozy sei nicht weniger schlimm und die beiden im Doppelpack samt Sparpaket, Glückwunsch! Doch jetzt beginnt das Konzert, ja, da ist er, der José Luis Gordo, ein fantastischer Mann, und hier eine junge Fadista, großartige Stimme, die habe ganz bestimmt eine Zukunft, übrigens „puto“ bedeutet im Portugiesischen so viel wie Lausbub, nicht, dass ich auf die Idee komme,
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