Ein Jahr in Lissabon
durch Sauerstoffmasken, Zugang zum Haus und zu den Wohnungen. Über den Balkon ziehen sie einen Schlauch nach oben und beginnen zu löschen, während die anderen Bombeiros sich darauf konzentrieren, die Menschen aus dem obersten Stockwerk, die sich noch nicht über das Treppenhaus gerettet haben, per Leiter zu bergen. Ich halte den Atem an, drücke die Daumen und, felizmente –alle können unverletzt in Sicherheit gebracht werden. Auch als schon längst niemand mehr im Haus ist, wird erneut jede einzelne Wohnung sorgsam abgeleuchtet, um zu prüfen, ob nicht vielleicht doch noch irgendwo ein Bewusstloser der Rettung harrt. Die Familie, von deren Wohnung der Brand seinen Ausgang genommen hat, steht weinend auf dem Trottoir. Längst hat sich die Straße mit Menschen im Schlafrock gefüllt, die schauen, diskutieren – und froh sind, dass es nicht ihr Haus getroffen hat.
Auch Marta und Jorge sind wach geworden und verfolgen das Geschehen von dem kleinen Balkon am Wohnzimmer aus. Sie sind nicht minder erschrocken als ich – und doch ist ein Brand für sie alltäglicher als für mich. Wer je durch Portugal gefahren ist, mag sich gewundert haben, dass es in jedem noch so kleinen Dörfchen eine Straße gibt, die den Feuerwehrmännern, den Bombeiros, gewidmet ist. Das hat in erster Linie mit den Waldbränden zu tun, die wegen der großen Hitze so leicht ausbrechen und die zu fast neunzig Prozent von Feuerwehrmännern eingedämmt werden, die diese Arbeit freiwillig und nicht hauptberuflich tun. Doch hier in Lissabon, in der Stadt, sind die Bombeiros nicht weniger wichtig und absolute Helden des Alltags: Die Häuser sind alt, im Inneren größtenteils aus Holz gezimmert, die elektrischen Leitungen ebenfalls morbid und – Risikofaktor Nummer eins – in jeder Wohnung befindet sich Gas, denn sowohl die Heiß-Wasser-Leitungen als auch die Herdplatten werden über Gasflaschen versorgt, die wöchentlich in kleinen Lieferwägen, gefüllt mit ganzen Armeen orangefarbener Kartuschen, in die Häuser geliefert werden. „Die Feuerwehr ist hier dauernd im Einsatz“, meint Jorge. Meist bleibt es bei einem Schwelbrand, und auch im Haus gegenüber ist noch mal alles gut gegangen – Victor kann mir am nächsten Morgen berichten, dass der Durchlauferhitzerim Bad schuld an der Misere war. Doch der Schreck sitzt mir weiter in den Gliedern, als ich mich nach einer Stunde wieder zu Bett lege, während die Alarmlichter der Feuerwehrautos noch immer an meinen Zimmerwänden reflektieren. Von diesem Zeitpunkt an ziehe ich jedes Mal, wenn ich an einer der vielen Feuerwehrstationen vorbeigehe, egal ob es voluntários (Freiwillige) oder sapadores (Professionelle) sind, innerlich den Hut: Muito obrigado pela vossa coragem, bombeiros do Portugal!
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Nach dem Feuer kommt der Regen, auf den Portugal und vor allem die Bauern so lange gewartet haben. Er beginnt sturzflutartig wie ein heftiges Sommergewitter, begleitet von Donnergrollen und Wetterleuchten – und er hält sieben Tage an.
Am ersten Tag stelle ich fest, dass ich völlig vergessen habe, wie Regen klingt und wie er riecht. Was für ein Geräusch er macht, wenn er ans Fenster und auf die metallenen Simse trommelt, wie unnachahmlich frisch er duftet und wie feucht sich die Luft anfühlt, wenn sie in die Nase schlüpft. Ich bin ganz berauscht vom Regen, genieße es, ein bisschen nass zu werden, und amüsiere mich darüber, wie nervös meine portugiesischen Kollegen reagieren. Jetzt keinen Regenschirm dabei zu haben ist eine Katastrophe – und davon profitieren die besonders cleveren Zeitgenossen, die kurzerhand einen kleinen Handel eröffnen und Schirme
in den Straßen verkaufen.
Am zweiten Tag amüsiere ich mich weiter, weil ich mir einbilde, dass die Regenschirme der Portugiesen besonders groß sind. Sie scheinen mir so groß wie Zelte.
Am dritten Tag muss ich zugeben, dass Lissabon wirklichkeine Stadt ist, die sich besonders gut für Regen eignet. Denn es gelingt mir kaum, die Gassen hinunterzugehen, ohne auf den Pflastersteinen auszurutschen. Und die Autofahrer schaffen es nicht, sich in den engen Straßen so sehr vom Rinnstein und dessen Pfützen fernzuhalten, dass die Fußgänger beim Vorüberfahren keine unfreiwillige Dusche verpasst bekommen.
Am vierten Tag sind Teile der Stadt überschwemmt, weil das Wasser nicht mehr ablaufen kann, und die Verkäufer in der Baixa schützen ihre Läden durch Metallblenden an den Türen. Ich überlege, ob ich mir Gummistiefel oder besser
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