Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Jahr in Lissabon

Ein Jahr in Lissabon

Titel: Ein Jahr in Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Roth
Vom Netzwerk:
Sardinen und Bier verkauft, die Straßen sind so voll, dass man sich nur noch vorwärts schieben kann, wer seine Freunde nicht verliert, hat Glück, denn wenn sie verschütt gehen, hilft selbst das Telemóvelnicht – entweder hört man das Klingeln nicht oder versteht kein Wort von dem, was am anderen Ende gesagt wird.
    Schon gestern Abend hat das Fest mit einer großen Parade auf der Avenida da Liberdade begonnen, mit den sogenannten „Marchas Populares“, einer Erfindung der Dreißigerjahre. Neunzehn Viertel Lissabons, neunzehn Bairros, hatten sich seit Monaten auf das Ereignis vorbereitet, hatten sich Motti überlegt, Umzugswägen gezimmert, Kostüme genäht, Reime geschmiedet, Kompositionen geschrieben und Choreografien einstudiert. Ein bisschen wie der Karneval von Rio wirkte es, als die fantasievoll gestalteten Formationen an Marta, Jorge, mir, Tausenden anderer Schaulustiger und der gestrengen Jury vorüberzogen. Das Viertel Ajuda widmete seinen Beitrag dem Gründer der Stadt Lissabon, Odysseus, Alcântara dem Tejo und seinen Fischern, die Alfama der Klatschpresse, die Mouraria dem Fado, der in den vergangenen Monaten als frisch gebackenes Weltkulturerbe so viel von sich reden gemacht hatte. Farbenprächtig, glitzernd, bis in die letzte Pore hinein geschminkt, mit inniger Hingabe singend und spielend, tanzten sie an uns vorbei, die Viertelbewohner. Marta und ich gaben Prognosen ab, wer wohl gewinnen wird – alle empfanden wir sie als preisverdächtig. Mein Herz schlug am meisten für die blau-weiß gestreiften Alcântaristen mit Fischerstangen und Körben voll Salz auf dem Kopf, Marta favorisierte die in einem Look aus Zeitungspapier gekleideten Bewohner der Alfama, die Fensterrahmen vor sich her trugen, aus denen heraus sie die neuesten Gerüchte verbreiteten. Jorge enthielt sich eines Votums und sagte, wenn überhaupt, dann müssten wir doch für unser eigenes Viertel, Santa Engrácia, die Daumen drücken. Doch dann kam alles anders, denn die Jury stimmte mit 261 Punkten für Alto do Pina – allerdings, und da lagen Marta und ich mit unseren Voten gar nicht schlecht, dichtgefolgt von der Alfama auf dem zweiten und Alcântara auf dem dritten Platz. „A chegada dos ciganos“, die Ankunft der Zigeuner im 19. Jahrhundert in Alto do Pina, war das Thema der Preisträger gewesen, und sie hatten die Nominierung sowohl für die beste Choreografie, die besten Kostüme und die besten Reime als auch für die beste Darbietung eingeheimst.
    Mitgelaufen im Umzug waren auch die zwanzig Hochzeitspaare, die sich am Nachmittag in der Igreja de Santo António das Jawort gegeben hatten. Denn hier in Portugal fungiert António nicht nur als Schutzpatron der Stadt Lissabon im Besonderen, sondern auch als Hüter der Liebenden im Allgemeinen, weswegen es zu den Traditionen dazugehört, dass die Organisatoren der Festas unter zahlreichen Bewerbern die geeigneten Paare auswählen, um sie, gesponsert von honorigen Firmen und begleitet von Fernsehkameras und Zeitungsjournalisten, spektakulär unter die Haube zu bringen.
    Doch das war nur der Auftakt. Denn heute, am 13. Juni, vollzieht sich das eigentliche Fest für António, in Form von Trink- und Essgelagen in den verschiedenen Vierteln der Altstadt, in Form von Musik und Tanz auf den Straßen und Plätzen bis in die tiefe Nacht hinein. Jeder, der an diesem Gelage teilhaben will, hat nicht nur die Möglichkeit, zu konsumieren, sondern kann auch vor seinem Haus einen kleinen Grill aufstellen, ein paar Sardinen drauflegen und sie verkaufen, ein paar Flaschen Bier in eine Kühltasche stecken, schreiend durch das Gedränge ziehen und die Pullen unter die durstigen Leute bringen, einen Kuchen backen und verticken oder einen kleinen Stand mit Ginja, dem Kirschlikör, eröffnen. Die Segurança Alimentar, der portugiesische Wirtschaftsprüfdienst, drückt an diesen Tagen ein Auge zu. Deshalb hatte Teresa mich gestern angerufen und gesagt: „Lassuns morgen Sardinen verkaufen.“ – „Sardinen verkaufen?“ – „Ja, beim Fest!“ Und da ich seit meinem Spaß mit dem Folklore-Tanz weiß, dass Teresa immer für eine Überraschung gut ist, habe ich mich darauf eingelassen, ohne weiter zu fragen.
    Nun fahren wir also frühmorgens um sechs Uhr zum Mercado da Ribeira, der schönen alten Markthalle am Cais do Sodré, und obwohl Teresa und ich noch im Halbschlaf vor uns hin dämmern, brummt die Markthalle bereits vor Geschäftigkeit. In der Mitte preisen die Blumenhändler ihre Sträuße an,

Weitere Kostenlose Bücher