Ein Jahr in Lissabon
seitlich flankiert von den Obst- und Gemüseverkäufern. Jetzt, im Juni, duftet es überall nach frischen Feigen, die zu stattlichen Pyramiden aufgeschichtet sind. Dazwischen dunkelrote knackige Kirschen, saftige Melonen und noch immer, noch immer: Erdbeeren. Erdbeeren. Erdbeeren.
Rechts und links von dieser farbigen Mitte, an den Außenseiten, hat die Poesie jedoch ein Ende. Dort nämlich befinden sich die Stände mit Fleisch und Fisch, dort hängen aufgeschlitzte Schweinerücken und getrockneter Bacalhau, dort werden die Steaks zurechtgeklopft und die Kutteln gerührt. Wir trinken erst einen Kaffee in der kleinen Bar der Halle, ehe wir uns fürs Geschäftliche gewappnet fühlen. Und dann beginnen wir, an den Fischständen entlangzustreifen, schauen zu, wie die Tiere auf Eis gelegt oder ihre Bäuche mit Scheren und Messern aufgeschlitzt werden, vergleichen die Preise und kaufen schließlich bei einer Marktfrau, die neben ihren Fischen einen Kalender hängen hat, auf dem eine Fotomontage zu sehen ist: Angela Merkel hält Nicolas Sarkozy wie ein Baby auf dem Arm und gibt ihm das Fläschchen.
„Ich würde sagen, wir nehmen hundert“, sagt Teresa. „Hundert? Bist du wahnsinnig? Was sollen wir denn mithundert Sardinen anfangen?“ – „Die gehen weg wie warme Semmeln, du wirst schon sehen.“ Also kaufen wir hundert Sardinen – Teresa hat den Preis noch fachmännisch heruntergehandelt, indem sie auf das Foto mit Merkel und Sarkozy gezeigt und darauf verwiesen hatte, dass wir im Zeitalter der Krise doch alle sparen müssen – und verstauen sie in zwei Kühltaschen, die Teresa von ihrer Mutter ausgeliehen hat. Hundert schwarz-silberne, glitschig-glatte Sardinen. Dann holen wir noch hundert Brötchen. Den Grill samt Holzkohle hat Teresa schon im Kofferraum des Autos deponiert.
Ab 12 Uhr sitzen wir am Largo da Graça, weil wir der Meinung sind, dass dies ein strategisch günstiger Punkt ist, bauen zwei Klappstühle und den kleinen Grill auf, schütten die Holzkohle hinein und heizen an. Wir legen die ersten fünf Sardinen auf den Rost, streuen ein bisschen Salz drüber, wenden sie und schon wenige Minuten später sind sie fertig. „Sardinhas assadas! Sardinjäsch ässädäsch!“ Tatsächlich. Die ersten Käufer rücken an. „Was verlangen wir eigentlich dafür?“, zische ich Teresa durch die Mundwinkel zu. „Zwei Euro.“ – „Dois? Não achas que é muito caro?“ – „Nee, die kosten überall so viel.“ Also. Konzentrieren. Brötchen aufschneiden, Sardine vom Rost nehmen, ohne sich die Finger zu verbrennen, ins Brötchen legen, alles in die Serviette hinein, dem Gegenüber reichen, Geld entgegennehmen. Hat geklappt! Mein unternehmerischer Geist ist geweckt – auch wenn es sich hier nicht um eine Marktlücke handelt, denn es sind noch andere auf die Idee gekommen, auf dem Largo da Graça gegrillte Sardinen zu verkaufen. Überhaupt scheint das ganze Viertel zum Grill mutiert zu sein. Aber noch läuft das Geschäft gut, die Leute haben Hunger und deshalb werfen wir die nächsten Fische auf den Rost.
Im Gegensatz zum Bacalhau, dem ich noch immer eher distanziert gegenüberstehe, habe ich die gegrillten Sardinen Portugals von Anfang an gemocht. Sie sind unspektakulär und unprätentiös, werden im Restaurant einfach in Olivenöl gebraten und mit ein paar gekochten Kartoffeln und Salat serviert. Man kann sie mit oder ohne Haut essen, wie es gefällt – was wir nun auch den beiden holländischen Touristen sagen, die bei uns eine Sardine kaufen. Teresa und ich produzieren im Akkord, sind ein perfekt rotierendes Fließband. Zwei Stunden später sind fünfzig Sardinen weg. Es wird das Geschäft unseres Lebens, so viel steht fest. Und deshalb sind wir großzügig, wenn wieder ein paar Kinder an uns vorüberziehen und uns um Kleingeld für Süßigkeiten anhauen – ebenfalls im Dienste des Santo António.
Doch nun stagniert die Konjunktur. Neben uns haben drei Leute einen Stand mit Entremeadas eröffnet, fettigen Speckscheiben, im Brötchen angereicht – harte Konkurrenz in unmittelbarer Nachbarschaft. Außerdem ist das Gedränge so dicht geworden, dass uns niemand mehr sehen kann. Also ein bisschen pausieren und einfach genießen. Ich würde jetzt gerne ein Bier holen, aber der Zeitpunkt ist schlecht, es könnte Stunden dauern, bis ich die zwanzig Meter zum nächsten Bierstand bewältigt hätte. Tiago und Joana haben vor einer halben Stunde angerufen, um vorbeizuschauen – bisher habe ich sie nicht gesehen.
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