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Ein Jahr in Lissabon

Ein Jahr in Lissabon

Titel: Ein Jahr in Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Roth
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Ich fürchte, sie kommen einfach nicht durch die Massen hindurch. Also essen wir, denn wir wissen noch gar nicht, wie unsere Sardinen eigentlich schmecken. „Muito bom.“– „Sim, saboroso, schmackhaft.“ – „Podes dar-me mais uma. Gib mir noch eine.“
    Da, eine Gruppe Senioren hat Hunger, wir sind gefragt. Weitere zehn gehen weg – aber dafür sind inzwischen auch noch einmal zwei Stunden vergangen. Ich fange an, müde zu werden. Es liegen aber noch immer 37 Stück Fisch nebenuns. „Was machen wir eigentlich mit den Viechern, wenn wir sie nicht loskriegen?“ – „Selber essen“, sagt Teresa und schiebt sich noch eine Sardine in den Mund. „Vielleicht sollten wir mit dem Preis runtergehen?“ – „Sardinhas no pão, sardinhas no pão! Um Euro e cinquenta por uma!“ Weitere zehn gehen weg. Trotzdem kann ich langsam keinen Fisch mehr riechen, und selbst Teresa verliert ihren unternehmerischen Geist. „Ich will runter zum Fluss, in zwei Stunden gibt’s Feuerwerk.“ Wir öffnen den Deckel der Kühltasche und zählen noch einmal nach: 26 Fische starren uns an, mit toten Augen und stummem Mund. „Noch mal den Preis senken?“ – „Sim, boa ideia.“ – „Sardinhas assadas, um Euro, só um Euro!“ Wenn das kein Angebot ist! In der nächsten halben Stunde verkaufen wir weitere zehn. Dann endlich trudeln Tiago und Joana ein, die jeweils zwei Fischlein samt Brot essen. Bleiben zwölf. „Komm, ich hab keine Lust mehr, die restlichen schenken wir der Konkurrenz.“ – „Nee, kommt gar nicht infrage“, sagt Teresa. „Die kriegen die Katzen!“
    Auf der Toilette der Pastelaria „Estrela da Graça“ zählen wir unsere Einnahmen nach: Wir haben – abzüglich der Ausgaben – knapp 70 Euro verdient. Gar nicht schlecht. Das hauen wir jetzt auf den Kopf – alles für António, versteht sich.
    ✽✽✽
    Wir haben furchtbar viel getrunken in dieser Nacht, Teresa, Joana, Tiago, ich und die anderen, die nach und nach dazustießen. Erst tranken wir Bier in der Alfama, wo es so voll war, dass wir die eigenen Füße am Boden nicht sehen konnten, dann zogen wir weiter auf den Praça do Comércio und von dort aus, nach Stunden des Herumtreibens, spülten uns die Menschenmengen weiter, bis wir schließlich unsere gesamten Sardinen-Einnahmen für Caipirinha verkloppten:in der „Pensão d‘Amor“, einem ehemaligen Bordell am Cais do Sodré, das jetzt als Ausstellungsort und ungewöhnliche Kneipe dient. Noch immer versprechen im Treppenaufgang Frauen mit gespreizten Beinen, die Ricarda oder Laura heißen, ein „Erlebnis der besonderen Art“ – doch nur noch in Form von Graffitis an den Wänden: „Lídia, a Perfídia“ lächelt vollbusig und verschlagen, „Alícia, Rainha da Malícia“ trägt als Königin des Schlechten die perversen Gedanken schon im Blick. Solchermaßen in die erste Etage begleitet, wartet ein gemütliches Wohnzimmer mit anzüglichen roten Wänden und frivolen Plüschsesseln, in denen man stundenlang versinken kann, während Fotos von nackten Frauen aller Jahrhunderte auf die Kneipengäste herabschauen, Chill-Musik erklingt und all die Menschen sich versammeln, die sich in Lissabon gerne die Nacht um die Ohren schlagen. Zum Beispiel bis vier Uhr morgens. So lange jedenfalls plauderten wir über den Sinn von Heiligen, darüber, was Santo António den Fischen denn eigentlich gepredigt hat und ob wohl auch unsere Sardinen die Predigt gehört haben, ehe sie auf dem Grill landeten. Doch irgendwann schlug der Caipirinha dermaßen bei mir ein, dass sich der Plüschsessel in der „Pensão d‘Amor“ in ein wogendes Schiff verwandelte und ich mich mit den letzten zehn Euro in ein Taxi setzte und nach Graça bringen ließ – wobei selbst um diese Uhrzeit der Weg zum Taxistand ein langwieriger war, weil sich in den Straßen noch immer die Menschen drängten.
    Die Portugiesen sind sehr zivilisierte Autofahrer, und man kann sich darauf verlassen, dass sie am Zebrastreifen auch wirklich anhalten. Die Einzigen, die sich – wie immer und in jeder anderen Stadt dieser Welt auch – nur zähneknirschend anpassen, sind die Taxifahrer, hier in Lissabon auch „Fogeiras“, Heizer, genannt. Wenn man sich außerhalbdes Taxis befindet, kann es sehr unangenehm sein, einem Fogeira zu begegnen – nicht aber, wenn man drinnen sitzt. Drinnen ist es ein Fest. Ich bin in Lissabon nicht oft Taxi gefahren, aber wenn, dann war die Fahrt immer eine Fundgrube an Inspiration. Atemberaubend schnell und irgendwie

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