Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Jahr in Lissabon

Ein Jahr in Lissabon

Titel: Ein Jahr in Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Roth
Vom Netzwerk:
Puppe auf den Bauch, fragt sie mit Roboterstimme: „Queres brincar comigo? – Willst du mit mir spielen?“ Und wenn man noch einmal drückt, stellt die Puppe Aufgaben – dann muss man Symbole, die auf das T-Shirt der Puppe aufgedruckt sind, finden. „Procura a estrela vermelha. Suche den roten Stern.“ Oder: „Procura o número 8.“ Die Puppe kann aber auch Musik machen, sie kann zum Beispiel „Happy Birthday“ auf Portugiesisch singen – was lange dauern kann, denn das portugiesische Happy Birthday begnügt sich nicht mit einer Strophe, die sich immer und immer wiederholt, sondern hat unendlich viele. „Parabéns a você, Nesta data querida. Muitas felicidades, Muitos anos de vida. / Hoje é dia de festa, Cantam as nossas almas. Para o/a menino/a,Uma salva de palmas“, plärrt es blechern – Herzlichen Glückwunsch zu diesem schönen Tag, viel Glück und viele Lebensjahre./ Heute ist ein Festtag, unsere Seelen singen. Für den Kleinen/die Kleine ein Applaus!
    Victor und ich probieren alle Funktionen durch, und ich mache Witze, dass die Puppe die wichtigsten Phrasen nicht kenne, nämlich„Não é simpatico“ und „Caramba!“. Und dann beiße ich mir auf die Zunge, denn es zerreißt mir sowieso schon das Herz, dass Victor seinem Enkelkind nicht selber Portugiesisch beibringen kann. Dass er seine Carolina immer nur einmal pro Woche sieht, wenn er zum Skypen ein paar Straßen weiter in das Internetgeschäft des netten Inders geht. Der Sohn kann nicht nach Portugal kommen, weil er noch keine Green Card hat und die Ausreise zu riskant wäre. Victor kann den Laden nicht einfach zwei Wochen schließen, hat Angst vorm Fliegen, und außerdem mag er, wie wir bereits wissen, Amerika nicht leiden. Weil es ihm das Enkelkind zwar geschenkt, aber auch gleichzeitig weggenommen hat.
    Ich erzähle Victor von meinen Erlebnissen bei den Festas de Santo António und frage ihn, ob er auch unterwegs war, aber er wird traurig und sagt, dass er seit dem Tod seiner Frau nicht mehr so gerne auf die Festas geht. „Zu viele Erinnerungen.“ Noch nie hat Victor über seine Frau geredet und auch jetzt sehe ich, dass er sich zurückziehen will – aber dann beginnt er doch zu erzählen.
    „Weißt du, auf den Festas habe ich mich in sie verliebt.“ Mit zwanzig hat er sie kennengelernt, als er noch als Schalterbeamter auf der Bank gearbeitet hat und sie regelmäßig zum Geldabheben kam. „Sie hat immer so freundlich gelächelt und eines Tages, am 12. Juni vor 47 Jahren, hab ich all meinen Mut zusammengenommen und sie gefragt, ob sie mit mir zum Fest des António mitkommen will“, erinnertsich Victor und schichtet die Salatköpfe neu. „Natürlich war das damals nicht einfach so möglich, sich zu zweit zu verabreden, die Zeiten waren sehr konservativ. Bei euch in Deutschland stand die sexuelle Revolution bevor, und bei uns unter Salazar durfte eine Frau noch nicht einmal verreisen, ohne vorher die schriftliche Erlaubnis von ihrem Vater oder ihrem Ehemann einzuholen.“ Also mussten beim Rendezvous noch eine Karosserie von Freundinnen ihrerseits und eine Armee von Freunden seinerseits mitkommen. Als Aufpasser. „Wir haben trotzdem den ganzen Abend zusammen getanzt. Ich war sofort bis über beide Ohren verliebt, Caramba, uma mulher extraordinária!“ Seine Frau sei schon damals etwas Besonderes gewesen, habe sich den reaktionären Geschlechterregeln des Estado Novo widersetzt, indem sie das Elternhaus an der Algarve verlassen habe und zu ihrer Tante nach Lissabon gezogen sei, um an der dortigen Universität zu studieren – noch dazu Ingenieurswesen! „Sie war eine der wenigen Frauen unter vielen Männern. Jedenfalls habe ich irgendwann ganz seriös bei den Eltern um ihre Hand angehalten, wir haben geheiratet und sind in die Wohnung nach Graça gezogen, in der ich immer noch lebe.“ Sie habe ihren Sohn sehr spät bekommen, ungewöhnlich für die damaligen Verhältnisse, in denen die Frau doch in erster Linie als Gebärmaschine und Mutter gesehen worden sei. „Indirekt hat sie gegen die Doktrin des Regimes protestiert, indem sie erst in den Beruf ging und als Ingenieurin gearbeitet hat.“
    „Wir haben aufeinander aufgepasst, wie sich das für gute Eheleute gehört, haben alle Höhen und Tiefen zusammen durchlebt. Und wir sind jedes Jahr zusammen zum Umzug gegangen. Es war unser Jahrestag. Bis vor vier Jahren. Da kam die Diagnose. Darmkrebs.“ Ich solle mich glücklich schätzen, so Victor, dass das Gesundheitssystemin

Weitere Kostenlose Bücher