Ein Jahr in Lissabon
reicht.
Auf der blau-weiß karierten Wachstuchtischdecke am Küchentisch bekommen wir ein Süppchen serviert und dazu ein Bier, das Doña Fernanda extra für uns kalt gestellt hat. Sie tätschelt Tiago die Wange und behauptet, er sei seit dem letzten Besuch noch einmal gewachsen. Schon immer habe sie gewusst, dass aus ihm ein Maler werden würde, weil er als Kind nie die Buntstifte aus der Hand gelegt hat. Und ob er sich noch erinnere, damals, bei seiner Erstkommunion, als er die Kerze hat fallen lassen? Oder daran, wie er als Kind vom Esel gestürzt ist? Oder wie er so lange geschrienhat, bis die Eltern den verletzten Stieglitz, den er im Garten gefunden hat, mit nach Hause genommen haben – „und zu Hause haben wir ihn tatsächlich mit der Pipette großgezogen und er war so zahm, dass er uns auf der Schulter saß“, ergänzt Tiago triumphierend. Als es fast Mitternacht ist, zeigt Doña Fernanda mir das Zimmerchen, in dem ich übernachten darf. Ganz klein, einzig und allein ein alter Holzschrank, ein altes Bett und ein Stuhl darin. „Hier hat früher meine Tochter, Tiagos Mutter, geschlafen“, erzählt mir Doña Fernanda, während sie Bettwäsche aus dem Schrank holt. „Und meine beiden Söhne haben sich das größere Zimmer nebenan geteilt.“ Nun beziehen wir gemeinsam das Bett, Tiagos Großmutter und ich. Und es ist gut, dass wir das gemeinsam tun, denn um in Portugal Betten zu beziehen, sollte man über ein Diplom verfügen. Nicht nur auf dem Land. Auch aus Martas Lissaboner Haushalt weiß ich, dass Bettenbeziehen ein Ritual sein kann, das so heilig ist, dass Reformvorschläge einer stillosen Estrangeira, die meint, es sei mit einem Spannbetttuch und einer Daunendecke getan, so entsetzt abgeschmettert werden, als nähere sich der Teufel dem Weihwasserbecken.
Konzentration also, denn Doña Fernanda eröffnet das Ritual. Erst spannt sie das Leintuch auf, blütenweiß und frisch gestärkt, schlägt alle Ränder sorgsam unter die Matratze und streicht sie so lange glatt, bis keine Falte mehr zu sehen ist. Dann legt sie ein zweites Laken mit schöner, selbstgestickter Spitzenbordüre darüber und knüpft zwei Knoten in die unteren beiden Ecken, ehe sie sie ebenfalls unter die Matratze schiebt. Es folgt eine Wolldecke, die jetzt im Sommer dünn ist, im Winter aber durch mindestens fünf weitere „aufgestockt“ werden kann, was die Sache zwar wärmer, aber auch komplizierter macht. Und zu guter Letzt wird das Werk mit einer weiteren Decke vollendet, die einzigund allein dekorative Funktion hat, weswegen ich sie Schmuckdecke taufe. Abschließend klappt Fernanda die Spitzenbordüre über das komplexe Gewebe, stopft noch einmal sorgfältig alle Ränder dieser Welt unter die Matratze und: „Pronto. Fertig.“
Das Bett liegt so wunderschön und vielschichtig da wie ein frisch gebackenes Blätterteigtörtchen, und ich frage mich, ob ich mich überhaupt trauen werde, es zu benutzen. Denn ich weiß, dass ich es unwiderruflich ruinieren werde: Meine Beine werden sich irgendwann eingesperrt fühlen in dem strammen Gewebe aus Textil, werden sich in somnambulen Befreiungsschlägen den Weg nach draußen verschaffen, dabei auch die Decken aus ihrer Gefangenschaft reißen, welche entweder die Flucht gen Boden suchen oder sich ängstlich am Fußende zusammenknautschen werden … Bedauerlicherweise genügt das Wissen, wie ein portugiesisches Bett bezogen wird, nicht, nein, man braucht auch die Fähigkeit, darin schlafen zu können. Doña Fernanda tätschelt mir kurz die Wange, als erahne sie meine inneren Nöte, wünscht mir eine gute Nacht und verabschiedet sich mit den Worten „Amanhã vamos matar o porco, está bem?“ – „Está bem“, lächle ich ihr zu und sage ebenfalls: „Boa noite.“
Aber was hat sie da gerade über das Schwein gesagt? „Amanhã vamos matar …“ Wie eine Phantasmagorie steigt eine Erinnerung in meinem Kopf auf, eine Erinnerung an eine Szene, die sich vor ein paar Wochen abgespielt haben mag. Damals hatte ich mit Joana und Tiago Alheiras gegessen, eine portugiesische Spezialität: dicke, massige Würste, die aus geräuchertem Fleisch unterschiedlichster Provenienz hergestellt werden, das zu Brei verarbeitet, mit Brot vermischt und dann zu einer Wurst geformt wird. Gebraten und mit Gemüse samt Spiegelei serviert, ist diese Mahlzeit so üppig, dass ein Kaffee danach nicht ausreicht, sondernes einen Schnaps braucht, damit der Magen seine Chance auf eine Zukunft bewahren kann. Während ich
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