Ein Jahr in Lissabon
die Alheiras verzehrte – wohlgemerkt: während –, entspann sich zwischen Joana und Tiago eine Diskussion über die genaueren Ingredienzen unserer Mahlzeit, die meinem Apettit enorm förderlich war:
Joana: „Nee, die Haut außenrum, das sind nicht die echten Gedärme.“ – Tiago: „Doch, klar, jeder Zentimeter von dem Vieh wird doch verwendet, das sind die echten Gedärme.“ – Joana: „Bist du sicher?“ – Tiago: „Ja, ich bin Profi, als Kind hab ich meiner Oma immer dabei zugeguckt, wie sie das gemacht hat. Vom Schlachten bis hin zur fertigen Wurst. Und der beste Teil der Show war jedes Mal, wenn sie mit den Därmen zum Bach gegangen ist, um die Scheiße rauszuwaschen: Sie hat den Kram auf einen Stein gelegt und die Kacke nach und nach rausgestrichen. Eine richtige Fleißarbeit. Und dann kam genau in diese leckeren frisch gewaschenen Säckchen die Fleischmasse rein.“
„Amanhã vamos matar o porco, está bem?“ Oh. Mein. Gott. „Tiagoooooo!!!!“
Am nächsten Morgen schreit auch das Schwein. Noch am Abend hatte ich mir Tiago vorgeknöpft: Ob es sein Ernst sei, mich ausgerechnet am Schlachttag hierher zu bringen? Lässiges Schulterzucken von Tiagos Seite: Seine Großmutter brauche nun mal Hilfe beim Schlachten, die Nachbarn seien zwar auch mit von der Partie, aber es sei der Oma schon lieber, wenn noch jemand von der Familie helfe. Außerdem würde ich doch selber Unmengen an Fleisch konsumieren und immer davon schwärmen, wie gut und „quasi homemade“ das Essen in Portugal schmecke – homemade beginne aber beim Schlachten. Und von alledem abgesehen sei das eine archaische Performance, die sich ein kulturell interessierter, theatralisch denkender Mensch wieich auf keinen Fall entgehen lassen dürfe – noch dazu „Made in Portugal.“ Ich schenkte Tiago einen Blick, der den Inhalt seiner Adern zu Blutwurst gerinnen ließ und beschloss, mir ein einziges Mal in meinem Leben eine Schlachtung anzutun – und zwar ausschließlich, um der liebenswürdigen Doña Fernanda zu helfen – und danach Vegetarierin zu werden.
Deshalb also stehe ich nun morgens um sechs Uhr im Stall des Nachbarn, schaue zu, wie Doña Fernandas armes Schwein geschlachtet wird – und versuche, dabei irgendwie hilfreich zu sein, obwohl mir die Tränen in die Augen schießen. Ein Stich in den Hals des Schweins – ein Stich in mein Herz. Das Blut des Schweines wird in einer Schüssel aufgefangen – meine Seele blutet mit. Der Darm wird herausgenommen und in einen Eimer gelegt – mir drehen sich die Eingeweide um. Alle Organe werden „geborgen“, die Leber, die Nieren, die Milz – ich fühle mich schwächer und schwächer. Dann wird der Brustkorb gebrochen und das Schwein in der Mitte aufgeschlitzt, die Rippen werden herausgenommen, die Beine abgeschnitten, die Nase, die Ohren, die Zunge. „Wird alles gegessen“, meint Tiago lapidar. Und während die Männer das Tier nach und nach zerkleinern und die Teile in die Kühltruhe oder in die Räucherkammer bringen, fangen die Frauen in der Küche an, das Essen zuzubereiten.
Bald duftet es im ganzen Haus. Meine Erstarrung löst sich, und ich konzentriere mich darauf, Tische im Garten aufzubauen, Tischdecken auszubreiten, Teller, Gläser, Wein zu richten. Ich helfe Doña Fernanda dabei, Brot zu schneiden und Salat zu machen – bis sich alle, die an der Schlachtung beteiligt waren, zum Essen versammeln. Mehrfach schlucke ich, als mir das Fleisch auf den Teller gelegt wird. „Chega, chega. Das reicht.“ Aber ich weiß, dass ich nun keinSpielverderber sein darf. Ich probiere kleine Stückchen – und lasse jeden zweiten Bissen unauffällig unter den Tisch fallen, wo der Hund ebenfalls ein Fest feiert. „Estás a gostar?“, fragt mich Doña Fernanda? – „Sim, sim, delicioso!“, antworte ich und spüle schnell mit Vinho tinto nach.
Wen wundert’s, dass ich in jener Nacht davon geträumt habe, wie sich weiße Bettlaken aus gehäkelter Spitze rot von Blut färben. Und ich schwöre: Seit diesem Tag habe ich kein Stück Fleisch mehr angerührt.
✽✽✽
Abgesehen von der Suche nach den blutig-archaischen Seiten Portugals haben wir eine schöne Woche in der Algarve verbracht. Wir haben eine Radtour durch die Felder unternommen, vorbei an Orangen-, Zitronen- und Carobbäumen, vorbei an Quintas und bellenden Hofhunden. Haben uns Tavira angesehen, das hübsche kleine Städtchen mitsamt seinem Fischerviertel. Sind einen Tag ans Meer gefahren, haben uns zwischen die Horden von
Weitere Kostenlose Bücher