Ein Jahr in London
Shakespeares Hamlet.
28. Juni: Mr Bean.“
„Mr Bean war zu Besuch? Welches Buch hat er gekauft?“
„Gar keins. Er hatte sich verlaufen.“
„Weißt du was Elli, du solltest für die Klatschkolumne in der Sun arbeiten. Dann müsstest du den ganzen Tag nur in einem Café sitzen und Ausschau nach irgendwelchen Stars halten.“
„Ich weiß, wäre das nicht herrlich?“
Als wir kurz darauf aus dem Fenster schauen und eine Person, die verdächtig nach Madonna aussieht, vorbeijoggen sehen, befinden wir, dass wir wohl mittlerweile ein paar Gläser zu viel getrunken haben und es Zeit zum Schlafengehen ist.
„Hast du diese ganzen Leute wirklich gesehen? Oder sahen die nur so aus?“
„Nein, nein, das waren schon die Originale.“
Ich beschließe, mir auch so ein Buch anzulegen. Eine Eintragung kann ich ja schon machen.
„Mal sehen, wer in den nächsten sechs Monaten die meisten Promis sehen wird, du oder ich?“
„Kommt auf den Berühmtheitsgrad an. Michael Jackson werden wir vielleicht nicht sehen, aber jeder zweite Mensch in London tut schließlich so, als sei er Popstar, Schriftsteller oder Maler.“
„O. k., also für eine Möchtegern-Berühmtheit gibt es einen Punkt, richtig berühmt zwei Punkte und extrem berühmt, also papstmäßig, drei.“
„Abgemacht. Und der Gewinner bekommt?“
„Ein Abendessen im Ivy “, schlägt Elli vor. „Dann können wir uns mal selber wie Berühmtheiten vorkommen.“
Damit bin ich einverstanden. Aber dann fällt mir ein, dass ich mir bei den Preisen im Ivy , einem der besten und teuerstenRestaurants Londons, wohl ein paar Tipps bei professionellen Paparazzi holen muss, um die Wette nicht zu verlieren. Einen Punkt für Jude Law habe ich ja schon einmal.
Ein anderes Ereignis verdrängt die Aufregung um die Celebrities in den folgenden Tagen. In jedem englischen Pub geschieht abends um Viertel vor elf etwas, was sonst nirgends auf der Welt passiert, es ist etwas, was einen Engländer erst zum Engländer macht. Egal, wie viel er schon getrunken oder gegessen hat: Um Punkt Viertel vor elf bestellt jeder Engländer, der was auf sich hält, noch mindestens ein Pint. Denn das war es dann für den Abend und man bekommt nirgendwo mehr einen Schluck Alkohol. Und das nur, weil die englische Regierung während des Krieges gegen die Trunkenheit der Soldaten vorgehen wollte.
Doch all dies soll nun anders werden, denn ab dem 25. November kann man nun auch in England bis ein Uhr nachts in der Kneipe sitzen, nein, sogar bis drei, vier oder fünf Uhr. Denn jeder kleine Pub kann nun, hat er sich rechtzeitig um eine Lizenz gekümmert, rund um die Uhr öffnen.
Den Boulevard-Blättern gefällt das gar nicht. In der Woche, bevor die Gesetzesänderung in Kraft tritt, könnte man denken, das Ende der zivilisierten Welt sei gekommen: „Sodom und Gommorha naht!“,„Das Königreich verfällt endgültig dem Suff!“ Solche und ähnliche Schlagzeilen wechseln sich ab mit den neusten erschreckenden Statistiken zum Binge Drinking . „Jugendliche fangen immer früher mit dem Binge Drinking an!“, „Einer von vier Erwachsenen ist schon ein Binge-Drinker !“
Den Begriff Binge Drinking , was auf gut Deutsch so viel wie „möglichst viel in möglichst kurzer Zeit trinken“ bedeutet, gibt es ausschließlich in der englischen Sprache. Denn obwohl Deutsche, Franzosen, Tschechen, ja selbst Luxemburger mehr trinken als die Engländer (die Briten erreichen auf der Alkoholkonsum-Rangliste nur einen schwachen 17. Platz), lassen sich alle diese Nationen ihr Glas Bier oder Wein in aller Ruheschmecken. Während die Engländer eben dank der bisherigen Gesetze ihre tägliche Menge innerhalb kürzester Zeit runterschütten und dann dementsprechend betrunken werden.
Und so erhofft sich nun die Regierung, dass durch die Aufhebung der Elf-Uhr-Regelung auch das Binge Drinking zurückgehen wird, während konservative Blätter wie die Sun oder der Daily Express überzeugt sind, das englische Volk sei genetisch dazu verurteilt, viel auf einmal zu trinken – und dies nun halt rund um die Uhr tun werde.
Am Abend des 25. Novembers ist also das ganze Land sehr gespannt auf den Ausgang des heutigen Abends. Steht uns der Verfall der Nation bevor oder die magische Bekehrung der Binge-Drinkers in zivilisierte Kontinental-Trinker?
Elli, Felice und ich sitzen seit neun Uhr abends erwartungsvoll im Pembroke Castle um die Ecke und verfolgen die Geschehnisse. Fast vergessen wir vor lauter Aufregung, auch nur eine
Weitere Kostenlose Bücher