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Ein Jahr in London

Titel: Ein Jahr in London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Regeniter
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schenken.
    „Weißt du, was mir vorgestern bei der Arbeit passiert ist?“, fragt sie, während ich über die hohen, kahlen Berge am Horizont staune, die einen fast glauben machen, man wäre auf dem Mond gelandet.
    „Also, ich stehe gelangweilt an der Kasse, gegen zwei Uhr nachmittags, es ist ganz ausgestorben im Laden, da fragt mich diese blonde Frau um die fünfzig mit einem ganz starken amerikanischen Akzent, wo unsere Londonführer stehen. Ich zeige es ihr, und ein paar Minuten später kommt sie in Begleitung von zwei kräftig gebauten Männern zurück, um für das Buch, das sie ausgesucht hat, zu bezahlen.“
    „Irgendein Hollywoodstar? Zusammen mit ihren Bodyguards?“, unterbreche ich sie.
    „Nein, warte ab. Sie kommt mir schon bekannt vor, und ich merke, wie auch andere Leute sie komisch anstarren. Aber nie hätte ich gedacht –“, sie legt eine strategische Pause ein, und ich verliere die Geduld.
    „Also, wer war es? Sharon Stone? Michelle Pfeiffer?“
    „Warte doch. Erst dann bemerke ich, dass vor dem Ladenein Kamerateam steht und auf sie wartet. Als sie mir also ihre Kreditkarte gibt, schaue ich natürlich auf den Namen, und rat mal, was da steht?“
    „Was?“
    „Hillary Clinton, die Frau von Bill!“
    „Bist du dir sicher?“ Aber dann fällt mir ein, dass gestern in den Nachrichten erwähnt wurde, dass sie tatsächlich diese Woche in London ein paar Vorträge hält. Zwei Punkte für Elli also in ihrem Celeb-Spotting-Buch! Langsam muss ich mich beeilen, wenn ich die Wette nicht haushoch verlieren will.
    „Drei“, schimpft Elli erbost, „viel berühmter als die Frau des Präsidenten von Amerika geht es ja wohl nicht!“
    „O. k., zweieinhalb. Drei Punkte gibt es nur für –“, ich überlege, „Tony Blair, die Queen, den Papst und ... Morrissey.“ Morrissey ist natürlich der berühmte englische Sänger, den sowohl Elli als auch ich seit frühester Jugend anbeten.
    „Ich habe gelesen, Morrissey wohnt irgendwo in Nordlondon, also wer weiß, ob er uns nicht noch mal über den Weg läuft!“
    „Ich hoffe nicht. Stell dir vor, er wäre unsympathisch oder, noch schlimmer, er würde uns einfach ignorieren. Das wäre eine Katastrophe.“
    „Warte es ab. Ich habe so ein Gefühl, dass wir ihn noch mal sehen.“
    Und ihre Intuition hat sie noch nie im Stich gelassen, behauptet Elli.
    Kurz nach Einbruch der Dämmerung stehen wir endlich vor Ellis altem Zuhause und Ellis Mutter öffnet die mit Mistelzweigen geschmückte Tür.
    Eileen sieht aus wie eine typische Working-Class-Hausfrau: klein und pummelig, in pinkfarbenem Jogginganzug, mit Haarwicklern so groß wie Teigrollen in ihren platinblondgefärbten Locken. Hinter ihr erscheinen die Köpfe von Rachel, Ellis älterer Schwester, und deren Mann Dave.
    „Hello, lovely to meet you.“
    Eileen umarmt mich oder versucht es zumindest, wobeiihre Arme kaum an meinen Hals ranreichen. In Eileens Welt, so stelle ich bald fest, ist fast alles „ lovely “, ganz besonders Dave, der seit dem Tod ihres Mannes das einzige männliche Mitglied der engeren Familie ist, und somit von ihr bis zum Umfallen verwöhnt wird.
    „Komm, Dave, ich mach den Fernseher an, Manchester United spielt doch gleich.“
    „Aber Eileen, du weißt doch, dass ich mir aus Fußball nichts mache.“
    „Ach, erzähl mir doch nichts, du kannst doch deiner alten Schwiegermutter nichts vormachen.“
    Sie schlägt ihm liebevoll auf die Oberschenkel.
    „ Lovely , ist er nicht einfach lovely ? Wenn ich dreißig Jahre jünger wäre, hätte ich ihn mir selber geschnappt!“
    Dave lächelt genervt und guckt sich dann brav das Fußballspiel an, um es sich mit seiner Schwiegermutter nicht zu verderben.
    Währenddessen trinken wir eine Tasse milchigen Tees nach der anderen und bestaunen die üppige Weihnachtsdekoration: Eileen hat es nicht nur geschafft, mich im Sammeln von Weihnachtskarten zu übertreffen, sie hat sie auch auf einen stattlichen Kunststoffkamin drapiert, und darüber hinaus die Decke und sämtliche Wände zentimeterdick mit roten Girlanden und goldenem Lametta ausgeschmückt.
    „Was haltet ihr von meinem Weihnachtsbaum? Alle Nachbarn sind ganz neidisch!“ Eileen zeigt in die Ecke des Zimmers, und ich erblicke mit Staunen ein Plastikgestell mit schwarzgesprühten Kunststoffnadeln.
    „Ein schwarzer Baum, Mum?“, fragt Elli zweifelnd.
    „Das ist gerade ganz in . Aber bis zu euch da im Süden ist das wahrscheinlich noch nicht durchgedrungen.“
    Elli schaut mich

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