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Ein Jahr in London

Titel: Ein Jahr in London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Regeniter
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Runde zu bestellen, schließlich wird hier Geschichte geschrieben. Natürlich gibt es nur ein Gesprächsthema: Wir können uns heute Zeit lassen mit dem Trinken.
    Doch je näher der magische Elf-Uhr-Schlag rückt, desto angespannter werden wir. Es ist zwanzig vor elf, unsere Gläser sind nur halbvoll, und normalerweise bleiben uns nur noch wenige Minuten, um ein letztes Pint zu bestellen. Felice und ich lassen uns nichts anmerken, doch Elli ist ein Beweis dafür, dass den Engländern bei der Geburt ein innerer Wecker mitgegeben wird, der sie um diese Zeit gewaltsam aufrüttelt.
    „Ich bestelle noch eine Runde, ob es elf ist oder nicht.“
    Felice spöttelt: „Danke, für mich erst mal nicht. Wie lange wird es wohl dauern, bis du deine 11 o’clock-paranoia loswirst?“
    Ich schließe mich dem an, und so schiebt sich Elli für ein einziges Pint langsam in Richtung Bar – denn auch die anderen Anwesenden halten es mit ihren alten Gewohnheiten und bestellen noch schnell ein letztes Bier.
    „ Inglesi, eh !“ Felice schüttelt den Kopf. „Sie lieben ihre Rituale.“
    Doch dann passiert das Unerhörte und der Barmann klingelt plötzlich mit seiner Schelle.
    „Last orders, please!“
    Felice und ich schauen uns verdutzt an: „Was ist denn jetzt schiefgegangen?“
    Jetzt lacht Elli, die sich mittlerweile mit ihrem vollen Glas wieder zu uns gesetzt hat. „Ich habe dem Ganzen ja nie getraut. Das wäre einfach zu schön, um wahr zu sein, einfach so bis Mitternacht weitertrinken zu können.“
    Als der Kellner das nächste Mal an unserem Tisch vorbeikommt, fragt ihn Felice aufgebracht, ob er denn von der neuen Gesetzgebung nichts mitbekommen habe.
    „Doch, natürlich, aber die neue Lizenz ist teuer, und ich möchte schließlich auch nicht die ganze Nacht arbeiten.“
    Dagegen kann man nichts sagen, und beim zweiten Klingeln und der Aufforderung, unsere Gläser jetzt aber bitte zügigst leerzutrinken, stehen wir schon auf der Türschwelle. Insgeheim bin ich froh, denn zwar werden weiterhin Betrunkene an meinem Fenster vorbeitorkeln, aber nicht die ganze Nacht.

Dezember
    „Endlich haben wir S ÜD england hinter uns!“, grinst Elli, als wir die Umgehungsstraße um London herum hinter uns gelassen haben.
    „Ist das nicht ein bisschen voreilig? Wir sind ja gerade mal fünf Meilen außerhalb Londons“, räume ich ein.
    „Der Norden fängt hier an.“
    Zu zweit sitzen wir eingequetscht in einem Meer von Geschenken in meinem Mini und bewegen uns im Zeitlupentempo vorwärts. Ganz London scheint sich entschlossen zu haben, die Weihnachtstage fernab von der Hauptstadt zu feiern, und so haben auch wir entschieden, die Ferien bei Ellis Mutter in Manchester zu verbringen.
    „Wenn du England so richtig kennenlernen willst, musst du auch mal ein Weihnachtsfest hier verbringen“, meint Elli, und natürlich hat sie Recht.
    Ich bin gespannt, was mich in Nordengland erwartet. Alle Kollegen, denen ich von meinen Weihnachtsplänen erzählte, reagierten ähnlich:
    „Pass gut auf deine Handtasche auf, alles voll von Gaunern da oben im Norden!“
    „Kauf dir lieber vorher einen Regenschirm in Extra Large !“
    Die meisten aber hatten sich kurz gefasst:
    „Du fährst nach Manchester? Why ?!“
    So wie wir zum Beispiel die Spaltung in Ost und West haben, die Belgier den Dauerkonflikt zwischen Wallonen und Flamen und die Norditaliener verächtlich auf ihre südlichen Landsleute herabschauen, ist auch England ein Land zweier Bevölkerungsgruppen: den eleganten, gebildeten Südengländern und den rohen, grobschlächtigen Nordengländern.
    So jedenfalls sehen es die Südengländer, für die der wilde Norden eine halbe Stunde nördlich von London beginnt und außer Regen, unzähligen Schafen und wilden Mooren nicht viel zu bieten hat.
    Und so ist auch mein erster Eindruck, als wir nach fast fünfstündiger Fahrt erschöpft an unserem Ziel eintreffen: Schön hässlich habt ihr’s hier. Mit der Betonung allerdings auf schön. Wir fahren an endlosen Reihen von ziegelroten „ two up, two downs “ (zwei Zimmer oben, zwei unten) vorbei, den alten Arbeiterhäuschen, die das Gesicht der Stadt prägen. In der Abendsonne leuchtet die ganze Stadt rötlich, und die alten Fabrikgebäude mit ihren dünnen, hohen Schornsteinen, zum Teil verfallen, zum Teil aber auch in moderne Wohnkomplexe umgebaut, sorgen für eine eindrucksvolle Kulisse. Ich schaue mich beeindruckt um, während Elli pausenlos weiterredet, ohne der Umgebung viel Aufmerksamkeit zu

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