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Ein Jahr in London

Titel: Ein Jahr in London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Regeniter
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ich, dass lediglich die Glatze stimmt: Vor mir sitzt ein in Jeans und T-Shirt gekleideter Mann Anfang vierzig, der mich mit einem breiten Grinsen begrüßt. Auch er telefoniert gerade, wobei es sich seinem Augenverdrehen und Stirnrunzeln nach zu urteilen um einen nicht allzu angenehmen Gesprächspartner handeln muss. Als er nach ein paar Minuten endlich auflegt, atmet er erleichtert auf.
    „Entschuldigung, das war der Chef. Mr Patel, der Besitzer unseres Blättchens.“ Er steht auf, streckt mir die Hand entgegen und stellt sich vor.
    „Ich bin Dennis. Und du musst Anna sein.“ Wieder einmal überrascht mich, wie man sich in England gleich mit Vornamen anredet.
    „Hallo Dennis, vielen Dank, dass ich so kurzfristig vorbeikommen durfte.“
    „No problem.“ Ich reiche ihm meinen Lebenslauf und ein paar Beispiele von vorigen Veröffentlichungen über den Tisch und er schaut sich alles interessiert an.
    Dann überfliegt er meinen Lebenslauf und schaut auf.
    „Ein Diplom in Fotografie? Hast du eine eigene Digitalkamera?“
    „Ja, das habe ich.“
    „Das trifft sich ja gut. Unser Fotograf arbeitet nämlich nur zwei Tage pro Woche, so dass unsere Reporter manchmal selbst die Fotos machen müssen.“
    Ich beteuere, dass mir das nichts ausmachen, sondern im Gegenteil viel Spaß machen würde, und er nickt erfreut.
    „Tja, da bleibt nur die Frage offen, ob du mit all deinen Qualifikationen bei einer so kleinen Lokalzeitung wie uns anfangen willst?“
    Ich kann vor Glück kaum antworten.
    „Ist das ein Jobangebot?“
    „Wenn du den Job willst, ist er deiner!“ Zwar bedeutet dies eine Halbierung meines früheren Einkommens, aber wenigstens entspricht es weitaus mehr meinen Karrierewünschen als sich tagaus, tagein mit verrückten Teenagern herumschlagen zu müssen.
    Nachdem ich den Vertrag unterzeichnet habe, stellt er mich den anderen zwei Reportern vor: Nishan, dessen Eltern aus Indien stammen und der sich hauptsächlich um die politischen Meldungen in Tottenham kümmert, und Helen, einer älteren Frau, die Kolumnen über Gärten, Gesundheit und Modeschreibt. Beide machen einen sympathischen Eindruck und kümmern sich gleich rührend um mich. Ich teile mir ein kleines Büro mit Nish, der mir zuallererst eine Tasse Tee macht und mir dann meine Hauptaufgaben vorstellt: Film- und Musikrezensionen, lokale Veranstaltungen wie die Wahl des schönsten Vorgartens Tottenhams oder des hilfreichsten Nachbarn. Und alles andere, was gerade so anfällt.
    In meiner ersten Arbeitswoche sind das die Leserbriefe. Denn wir haben ein Problem: Wir bekommen nicht genügend Briefe von Lesern zugeschickt. Diese Woche stammt der einzige Brief von einem Verschwörungstheoretiker, der jede Woche mehrseitige Episteln zu seinen neusten UFO-Sichtungen in Tottenham und Umgebung schreibt. „Wenn Sie meinen Brief nicht abdrucken, gehe ich davon aus, dass auch Sie der Verschwörung in diesem Land angehören, die die Anwesenheit Außerirdischer vertuschen will“, endet jeder seiner Briefe.
    „Wir sollten ihn mal zu einem Interview einladen“, schlage ich im Scherz vor, doch die anderen lachen nicht.
    „Wir bekommen nächste Woche schon Besuch von einem Vampirjäger. Ein Verrückter pro Woche reicht mir eigentlich“, erklärt Nish.
    „Ein Vampirjäger? Das hört sich doch interessant an!“ Interessanter jedenfalls als der neuste Gartenwettbewerb oder die Caritas-Tombola-Verlosung, finde ich.
    „Dann kannst du ihn ja interviewen. Ich habe nämlich Angst vor ihm!“ Nish grinst mich hoffnungsvoll an und drückt mir einige im Selbstdruck veröffentlichte Bücher in die Hand.
    „Hier, damit kannst du dich schon auf ihn vorbereiten.“
    „Ich glaube, er ist eher selber ein Vampir als ein Vampirjäger, jedenfalls sieht er so aus“, macht mir jetzt auch Helen Angst.
    Ich nehme die Bücher entgegen, die alle so abenteuerliche Titel wie The Vampyre Syndrome und Beyond the Highgate Vampire haben, lege sie aber erst mal beiseite, denn zuallererst müssen wir uns um die fehlenden Leserbriefe kümmern.Leserbriefe sind wichtig, sie stellen eine Verbindung zwischen Redaktion und Lesern her und außerdem haben wir keinen Stoff, mit dem wir die leere Briefseite jetzt, am Tag vor Redaktionsschluss, noch auf die Schnelle füllen könnten. Also ist meine Aufgabe für heute: selber welche schreiben. Was sich leichter anhört, als es ist. Ich starre und starre den Bildschirm an, doch alles, was mir einfällt, sind Themen, die schon in den letzten Wochen

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