Ein Jahr in London
neuen Bundesverkehrsminister?“, fragt er mich herausfordernd.
Ich lache geniert. „Ach der. Bisher ist er mir noch nicht negativ aufgefallen.“
„Mir ist gerade sein Vorname entfallen. Wie heißt er noch mal?“
Ich werde rot und gebe zu, dass ich weder dessen Vornoch Nachnamen kenne noch irgendwie sonst über ihn informiert bin. Und dass ich im letzten Jahr hinsichtlich der neusten Geschehnisse in der deutschen Politik etwas in Verzug geraten bin.
Mr Walters lächelt mich mitfühlend an. „ Don’t worry “, sagt er herablassend und lässt sich dann in einem weiteren Monolog über das deutsche Wahlsystem aus.
Leider fällt mir mittlerweile das Deutschsprechen auch gar nicht mehr so leicht. Obwohl angeblich Zehntausende Deutsche in London ansässig sind, treffe ich, wenn überhaupt, nur deutsche Touristen. Die hier lebenden Landsleute geben sich entweder alle für Holländer oder Polen aus oder wohnen zusammengepfercht in einem Vorort Londons, den ich noch nicht entdeckt habe. Auf jeden Fall bekomme ich, bis auf Telefonate mit Freunden in Deutschland, kaum noch die Möglichkeit, Deutsch zu reden.
„Er stach aus der Menge hervor wie ein wunder Daumen.“
„Ein wunder Daumen?“, fragt meine Freundin Birgit verwundert am Telefon.
„ A sore thumb . Er stach hervor, wie jemand, der einem sofort auffällt, weil er anders als die anderen aussieht.“
„Ich glaube nicht, dass man das im Deutschen sagen kann“, erwidert Birgit, und ich erkläre ihr in hundert Worten, was man im Englischen so schön in einem Satz hätte sagen können.
Nach ein paar Wochen wird mir dies alles so peinlich, dass ich mich mit der Entschuldigung von Herrn Walters verabschiede, ich würde jetzt wieder nach Hause zurückziehen und könne keine weitere Konversation mit ihm mehr machen. Ich bin so erleichtert, dass ich mir schwöre, nie wieder Privatstunden zu geben, denn die Chancen, einen ganz normalen Schüler zu finden, scheinen mir gering zu sein. Auch Maddie hat die Parklands High verlassen, aber anstatt Privatstunden zu geben,arbeitet sie jetzt als Vertretungslehrerin, das heißt, sie springt für kranke Lehrer an verschiedenen Schulen im Großraum London ein.
Jeden Morgen steht sie um halb sieben auf, wartet auf einen Anruf von ihrer Agentur und trifft dann gegen vier Uhr mit abenteuerlichen Geschichten und 150 Pfund reicher wieder in der Holloway Road ein.
Heute hat sie an einer Schule in Hackney, der Londoner Bronx, gearbeitet.
„Oh, es war furchtbar!“, beginnt sie wie immer ihren Bericht.
„Und welches Fach hast du unterrichtet?“, frage ich sie gespannt.
„Also, erst Geschichte, dann Spanisch, Mathe, Kochen und Sport.“
„Sport?“ Maddies kniehohe Stiefel und Sport passen einfach nicht zusammen.
„Es war einfach schrecklich. Mir wurde mitgeteilt, die Kinder müssten die ganze Doppelstunde Rounders spielen.“
„ Rounders ? Was ist denn das?“
„Das wusste ich auch nicht mehr genau, obwohl ich es selber in der Schule habe spielen müssen. Und die Kinder waren sich auch nicht sicher. Sie wussten nur, dass es zwei Teams gibt, einer einen Ball wirft und die anderen hinterherrennen müssen.“
„Und was hast du dann gemacht?“
„Ich habe einfach losgepfiffen und dann flog der Ball über den Schulhof und dreißig Kinder rannten kreuz und quer durch die Gegend. Mir war noch nicht mal klar, wer in welchem Team war. Und irgendwann habe ich angeblich ein Foul übersehen und dann weigerte sich das andere Team, weiter mitzuspielen. Also saßen wir alle für siebzig Minuten auf dem Sportplatz herum und haben uns gelangweilt.“ Ich bin heilfroh, nicht mehr unterrichten zu müssen.
Stattdessen mache ich mich endlich auf den Weg zum Jobcentre , dem Arbeitsbeschaffungsbüro, und melde mich für ein Gespräch mit einem Berater an. Die Frau, die mir zugeteilt wird, ist sehr freundlich und ermutigend.
„Mit Ihren Qualifikationen sollten Sie doch wirklich keine Probleme haben, schnell einen neuen Job zu finden.“
Sie nickt noch einmal bekräftigend. „Und dazu noch Deutsch!“
„Ist das gut?“, frage ich zweifelnd.
„Die Deutschen sind strebsam und zuverlässig, aren’t they ?“ Sie schaut mich forschend an. Ich nicke schnell und suche verzweifelt in meinem Gedächtnis nach eigenen Beispielen dieser angeborenen Strebsamkeit. Mir fällt so schnell nichts ein.
„Haben Sie denn irgendwelche besonderen Fähigkeiten außer ihrer Lehrerausbildung?“
Ich zeige ihr meinen Lebenslauf. Der besagt, dass
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