Ein Jahr in London
ich etliche Praktika bei Lokalzeitungen gemacht habe, ein Diplom in Fotografie habe und schnell tippen kann.
„Ah, Sie wollen also einen Sekretärinnenjob?“
Ich seufze leise. „Was gibt es denn da in der Richtung?“
Die Frau bewegt in Windeseile die Maus hin und her, klickt mehrere Male hintereinander und schon spuckt der Drucker eine Seite voller Jobangebote aus.
„Zweisprachige Sekretärin in der Londoner City, Gehalt: £ 16,000; Sekretärin mit guter Rechtschreibung im West End gesucht. Gehalt: £ 15,000. Und so weiter.
„Haben Sie nicht etwas ... Interessanteres?“
Sie klickt wieder ein paar Mal, und lächelt dann triumphierend.
„Wie wäre es hiermit? Rezeptionistin im Travellodge Hotel. Fremdsprachenkenntnisse erwünscht, Gehalt: £ 12,000.“
Ich versuche, erfreut zu gucken, was mir aber immer schwerer fällt.
„Oder das hier. Ach nein, das ist in Tottenham. Da wollen Sie bestimmt nicht arbeiten.“
„Was denn?“
„Lokalreporter in Tottenham. Anfänger sind eingeladen, sich zu bewerben. Gehalt: £12,000.“
Ich horche auf. Das Einzige, was ich mit Tottenham in Verbindung bringe, sind die Tottenham Hotspurs , und gegen die habe ich nichts.
„Können Sie mir das ausdrucken?“ Erst habe ich einige Hemmungen – zwar ist mein Englisch mittlerweile gut, aber mit einem gebürtigen Briten kann ich mich wohl doch nicht messen. Allerdings merke ich immer mehr, dass viele Briten nicht nur Probleme mit Fremdsprachen, sondern auch mit ihrer eigenen Muttersprache haben. Während die meisten deutschen Schulkinder spätestens in der neunten Klasse kapiert haben, dass englische Verben nur in der dritten Person Singular ein „s“ angehängt bekommen, scheint zum Beispiel Barry, mein Ex- Landlord , einfach seine eigenen Konventionen zu erfinden. Seine ganz persönliche Regel ist: An jedes Verb kommt ein „s“ dran, ganz egal, ob Singular oder Plural, ob erste, zweite oder dritte Person. Die meisten seiner Erzählungen verlaufen folgendermaßen: „And then I says ‚no way‘ and he says ‚no really‘ and I goes ‚that can’t be true’ and they answers ‚honestly‘ …“
Bis auf meinen Akzent, der mich immer noch als Ausländerin ausweist, sollte ich also eigentlich keine allzu großen Probleme haben. Einige Minuten später wähle ich auf meinem Handy die Nummer des Tottenham Guardian und rede mit Dennis McInnes, dem Chefredakteur der Zeitung.
„Kommen Sie doch einfach in den nächsten Tagen mit Ihrem Lebenslauf vorbei. Von Bewerbungen kann man sich so schlecht ein Bild von einem Menschen machen. Ich treffe Sie lieber gleich selber!“
„Wann darf ich kommen?“
„Wann immer es günstig für Sie ist.“
Wir vereinbaren den nächsten Tag und ich drücke dem Bettler vor dem Jobcentre vor Freude einen 5-Pfund-Schein in die Hand.
Die Redaktion liegt in einer hauptsächlich von Jamaikanernund Westindern bevölkerten Gegend im Nordosten Londons und schon, als ich aus der U-Bahn-Station heraustrete, klingt mir aus einem geöffneten Fenster laute Reggaemusik entgegen. Eine Frau mit buntem Kopftuch lehnt sich weit aus einem anderen Fenster hinaus und unterhält sich lautstark mit einer Nachbarin auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ihren Akzent kann ich nur schwer verstehen, dabei dachte ich, ich hätte jetzt wenigstens die Londoner Redeweise gemeistert.
Ich gehe die West Green Road entlang, die Straße, die mir der Redakteur genannt hat. Vor den vielen kleinen Supermärkten liegen Plantain-Bananen, Okras und andere exotische Früchte und Gemüse aus, Händler bieten in allen Regenbogenfarben getönte Stoffe zum Verkauf und ich bewundere die Hunderte von kleinen Zöpfchen auf den Häuptern der Frauen.
Direkt neben einer Metzgerei, in deren Fenster ein ganzes Schwein und mehrere Hühner samt Federn traurig von einer Stange hängen, finde ich den Eingang zu der Redaktion. Ich schelle und trete dann direkt in ein Büro ein, in dem mehrere Frauen Mitte zwanzig geschäftig telefonieren.
„Eine halbseitige Anzeige würde 120 Pfund kosten, eine volle Seite 200. Was meinen Sie?“ In einer kurzen Gesprächspause nutze ich meine Chance.
„Sorry, ich habe einen Termin für ein Vorstellungsgespräch mit Dennis McInnes, dem Chefredakteur.“
„Ah ja, einen Moment. Ich bringe Sie gleich zu ihm hinauf.“
In Gedanken stelle ich mir einen glatzköpfigen, hartherzig aussehenden und Respekt einflößenden Mann in Anzug und Krawatte vor, doch als ich in Dennis McInnes’ Büro eintrete, sehe
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