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Ein Jahr in San Francisco

Ein Jahr in San Francisco

Titel: Ein Jahr in San Francisco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanni Bayers
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Vijay die Erklärung von Sophia. Sie setzt ihre Sonnenbrille auf und liest auf ihrem iPhone die Wegbeschreibung für den 49-Mile-Drive vor. „Look for the seagull“, fordert Sophia uns auf. Wir sollen nach der Möwe Ausschau halten, denn dieses Schild weist auf die Sehenswürdigkeiten entlang der Route hin. „Den eindrucksvollen Drive gibt es bereits seit 1938, als San Francisco während der Golden Gate International Exposition (1939–1940) die Messebesucher von den touristischen Attraktionen der Stadt überzeugen wollte“, liest Sophia während der Fahrt vor. „Sophia, guck auf die Straße! Wir müssen die Nächste abbiegen, wenn wir zum Golden Gate Park wollen“, unterbricht Vijay sie.
    Den größten innerstädtischen Park der Welt (sogar größer als der Central Park in New York!) kann ich gar nicht oft genug besuchen. Jedes Mal entdecke ich etwas Neues. Ist es beim letzten Mal die Murphy Windmill und das Conservatory of Flowers gewesen, will Rose uns heute den Stow Lake zeigen. „Wahnsinn! Sechstausend Pflanzenarten, elf Seen, drei Museen, zwei Stadien und eine Büffelfamilie gibt es im Golden Gate Park“, lässt Sophia verlauten, und Vijay muss sie erneut darauf hinweisen, doch bitte auf die Straße zu achten. Bevor wir am Golden Gate Park halten, schlägt Rose noch einen Frühstücksabstecher vor: „Lasst uns auf der Irving Street ein paar Dim Sums kaufen. Die sind echt großartig.“ Auf ein gutes chinesisches Frühstück haben wir alle Lust, und so kaufen wir eine große Tüte voller warm-dampfender, fernöstlicher Teigtaschen, gefüllt mit Gemüse, Fisch und Fleisch. Vijay will bereits im Auto in die Tüte greifen, als Rose ihm auf die Finger haut. „Gleich, Vijay. Bis zum Stow Lake musst du dich noch gedulden.“
    Der kleine See, als Wasserreservoir um den Strawberry Hill angelegt, besitzt ein paar Wasserfälle. Oben auf dem Berg gibt es einen Picknickplatz. „Wie weit ist es noch?“,fragt Vijay, als wir den Pfad zum Erdbeerhügel entlanggehen. „Den Anstieg wirst selbst du schaffen, Vijay. Nur noch hundert Meter“, lacht Rose. „Ich bin mir da nicht so ganz sicher“, stelle ich amüsiert fest. Vijay hat dicke Schweißflecken auf dem Rücken seines Lieblingsshirts: knallgrün und mit dem neuen Logo von Healthquestion , das Alex ihm vor ein paar Wochen designt hat. Oben angekommen, machen wir es uns auf der Picknick-Bank gemütlich und genießen in der Morgensonne die chinesischen Teigtaschen. Während alle glücklich kauen, steht Sophia auf: Fototermin! „Leute, alle herschauen!“, ruft sie. Rose, Vijay, Alex und ich drücken die Köpfe aneinander und setzen ein breites Grinsen auf. Auf einmal fängt Sophia an zu kichern, denn Alex hat sich zwei Dim Sums auf einmal in den Mund gestopft und versucht, mit weit aufgerissenem Schlund ein Lächeln für die Kamera zu erzwingen. Ich muss an unser internationales Potluck-Dinner vor ein paar Wochen denken, da hat Alex die gleiche Nummer abgezogen. „Alex, komm – der Potluck-Scherz ist alt. Jetzt versuch ausnahmsweise, einen vernünftigen Blick aufzulegen“, befiehlt ihm Rose. Damals sagte Sophia, dass das, was bei ihr auf dem Teller liege, genauso international sei wie ihr Freundeskreis. „Ha, ha! Wo wir am nächsten Tag alle eine Magenverstimmung hatten, weil niemand das Sauerkraut von Hanni vertragen hat?“, merkt Alex an und verzerrt sein Gesicht zu einer Grimasse.
    Potluck-Partys habe ich in San Francisco kennen und lieben gelernt. Jeder bringt ein Essen aus seiner Heimat mit, und dann wird geteilt und gegessen. Die Potluck-Partys sind eine Tradition der frühen Einwanderer, als Essen sehr knapp war. Überhaupt zeigt diese Sitte die Liebe der Amerikaner zu Kooperation und zu Networking. Die über 25 000 Glücksritter der ersten Goldstunden, bekannt auch als 49ers , die um 1849 nach San Francisco stürmten, waren hauptsächlich Männer, die mit der Kochkunst nicht sonderlichvertraut gewesen sein dürften. Und doch hatten sie Appetit, und sie brachten Geschmackspräferenzen aus der ganzen Welt mit. Viele unterschiedliche Restaurants öffneten ihre Tore und bescheren uns noch heute die kulinarische Vielfalt in der Bay Area. Vielleicht ist dies auch der Grund, warum San Francisco laut der New York Times die höchste Restaurantdichte in den USA besitzt. Die Einwohner San Franciscos nehmen es auch lockerer mit den Ausgaben für Restaurantbesuche, sie geben weit mehr Geld für Essen aus als der durchschnittliche Amerikaner. Ihre Food-Obsession

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