Ein Jahr in San Francisco
kostet sie über 4000 Dollar im Jahr. Sophia ist überzeugt: „Es liegt bestimmt daran, dass der durchschnittliche San Franciscan einfach weniger in Fast-Food-Restaurants geht und mehr Geld in hochpreisigen Restaurants lässt.“ Im amerikanischen Durchschnitt besucht nämlich jeder Vierte mindestens einmal pro Tag eine Schnellgaststätte, sechzig Prozent aller Amerikaner sind übergewichtig und Pommes das am häufigsten konsumierte Gemüse.
Bevor ich nach San Francisco kam, entstand beim Gedanken an amerikanisches Essen ein typisches Bild in meinen Kopf: Burger, Pommes und Coca-Cola im XXL-Format, garniert mit Szenen aus dem Dokumentarfilm „Supersize me“, bei dem sich der Regisseur für einen Monat lediglich von Fast-Food-Produkten ernährt. Doch wieder einmal erweist sich San Francisco als Zentrum der amerikanischen Gegenkultur: So hat San Francisco als erste amerikanische Stadt ein Verbot von Kinderspielzeug in Fast-Food-Gerichten erlassen und geht als gutes Vorbild im Kampf gegen die Fettsucht voran. Auch die sogenannte Slow-Food-Bewegung wird in kaum einer anderen Stadt so schwärmerisch verfolgt wie in San Francisco. So kamen im Jahr 2008 beim Event Slow Food Nations über 50 000 Menschen zusammen, um die natürlich-biologische Küche zu zelebrieren. The City hat daneben auch eine große Auswahl an Wochenmärkten, dielokale Bio-Produkte aus nahegelegenen Anbaugebieten anbieten. Mein persönlicher Favorit ist der Castro Farmers Market an der Market und Noe Street. Trotz alledem sind wir natürlich in Amerika, wo mein Mitbewohner Charles ganz selbstverständlich Shampoo und Duschgels in Zwei-Liter-Packungen kauft und wir auch immer mindestens eine Gallone (also 3,8 Liter) Milch und zwei Gallonen Orangensaft im Kühlschrank liegen haben.
„Wo fahren wir als Nächstes hin?“, fragt Vijay in die Runde, nachdem er die letzte Teigtasche verputzt hat und zufrieden über seine Bauchwölbung streichelt, auf der unser Startup-Logo prangt. „Twin Peaks“, schlägt Sophia vor, wir sind einverstanden, packen unsere Abfälle zusammen und brechen auf. Wir schlängeln uns die Serpentinen des Portola Drive über den Twin Peaks Boulevard zu den Zwillingsgipfeln hinauf.
Auf der Spitze der Hügel angekommen, faltet sich unter uns die Schönheit San Franciscos auf wie ein bunt schimmernder Fächer mit allen seinen Farben und Facetten. Die Stadt in ihrem Schachbrettmuster, die Bucht und das Meer liegen vor uns wie die Landschaft einer Modelleisenbahn in der safran-goldenen Mittagssonne. „Wie schön – schaut, da ist der Golden Gate Park. Wie klein er von hier oben erscheint!“, ruft Sophia aufgeregt, und ich folge ihrem Blick. Von hier wirkt der langgezogene breite Park mit der daran anschließenden Grünfläche des Panhandle-Parks wie ein überdimensioniertes Nudelholz mit einem Griff, das der liebe Gott beim Ausrollen der Stadt vergessen hat und das nun das grüne Herz von San Francisco bildet. „Vijay, guck doch mal!“, ruft nun auch Alex und richtet sein Kamerastativ für ein weiteres Foto aus. Vijay hat allerdings andere Pläne. Samt Handy in der Hand steht er abgewandt von uns und der beeindruckenden Aussicht und blickt zum rotweißen Sendemast des Sutro Towers hinauf. Mit einer Appversucht er, ein Signal der Radio- und Fernsehsender zu erhalten, die der Mast ausstrahlt. „Friends, I am coming, I am coming. Trying to get a signal of KRON TV!“, ruft er, läuft ein paar Schritte vor und zurück und wiegt seinen Kopf im indischen Stil bestätigend hin und her. Vijay ist halt doch ein Freak, denke ich mir amüsiert. Da bietet sich ihm einer der schönsten Ausblicke, und er hat nichts Besseres zu tun, als eine Funkwelle aufzuspüren. Ich hingegen könnte ewig hier oben stehen und auf The City blicken.
San Francisco ist eine Stadt mit großer Ausstrahlung. Ich glaube, dass ihre Magie und ihr Zauber in der Mannigfaltigkeit des Lichts begründet sind. Der amerikanische Dichter Codrescu hat die Lichtformen der Stadt gezählt und ist dabei auf 99 unterschiedliche lights in San Francisco gekommen. Ganz so viele habe ich bisher noch nicht entdeckt, doch eine Handvoll Lichtblicke sicherlich: So glich das Licht, das mich am ersten Morgen in San Francisco weckte, einem goldenen Tuch, das sich durch das ganze Zimmer zog. Und als ich mit Nick von Sausalito die Fähre im Sonnenuntergang zurück nach San Francisco nahm und sich die ersten Nebelbänke auf die Stadt legten, verfärbte sich der Himmel zu einem verhaltenen
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