Ein Jahr in San Francisco
Surfbretter in einem alten Schuppen dicht aneinandergedrängt stehen. Von der Holzveranda aus können wir die Wassersportler in den Wellen vor der Kulisse der Containerschiffe und Industriehallen des Hafens von Oakland beobachten. Zugegeben, der Ausblick der Marina ist nicht der schönste, und das Wasser ist allein schon wegen der Nähe zum Industriehafen von Oakland nicht das sauberste, aber wer zu studentischen Konditionen lediglich ein bisschen Segeln und Surfen möchte, liegt hier in Berkeley richtig.
„Sophia, ich werde dich so vermissen“, platzt es aus mir heraus. „Und ich euch erst. Aber ich komme dich oft besuchen, und du hast doch noch Vijay, Rose, Mari Carmen, Alex und Nick.“– „Ach, Nick. Den habe ich seit unserem Streit nur noch einmal gesehen. Er ist irgendwie seltsam.“ – „Du sagtest doch, dass ihr zusammen seid.“ – „Ich glaube schon, aber wir haben nie explizit darüber gesprochen. Auch den Streit hat er bei unserem letzten Treffen nicht mehr erwähnt.“ – „Hanni, bist du dir sicher, dass er es nicht nur als Datingansieht? Ich meine …“ Plötzlich scheppert es laut vom Ufer her. „O nein. Das sieht nach Ärger für Vijay aus.“ Wütend tritt Mari Carmen gegen den Rand der Jolle. Endlich greift Alex ein und bringt das Boot zur Ruhe, bis es schließlich nur noch leicht hin und her schwingt. Mari Carmen springt ans Ufer, wringt schimpfend ihre Socken aus und wirft Vijay einen letzten, vernichtenden Blick zu. Anschließend stolziert sie in ihrer knallgelben Schwimmweste über den Steg hinauf zu Sophia und mir ans Bootshaus. „Ich hasse Segeln!“ Vor unseren Füßen lässt sie sich auf die Dielen in die Sonne fallen und legt die feuchten Socken demonstrativ neben sich aufs Holz.
„Ach, komm schon. Schau dir lieber die zwei hilfsbereiten Sweeties dort vorne an“, sagt Sophia amüsiert und zeigt auf zwei braun gebrannte Burschen, die in der Sonne die Planken des Bootshauses streichen. Einige Meter weiter in der Segelwerkstatt ist ein junges Pärchen schon seit Stunden damit beschäftigt, die alten Jollen zu reparieren. „Für ein bisschen Freiwilligenarbeit fast umsonst segeln und surfen – das lieben wir Deutschen“, grinse ich. Das Nick-Thema will ich lieber nicht wieder anschneiden. „Ihr seid solche penny-pincher “, lacht Sophia, und ich muss mir eingestehen, dass sie mit den Pfennigfuchsern nicht ganz falschliegt, den Tipp mit diesem Segelclub hatte mir in der Tat ein deutscher Kollege gegeben. „Das Coole an dieser Marina ist doch, dass die Leute hier total kunterbunt gemischt sind. Studenten, zugleich aber auch Professoren, Obdachlose und Unternehmensgründer“, erkläre ich kraftvoll.
Sophia zeigt auf einen älteren Herrn, der gerade am Ufer versucht, sich auf sein Surfbrett zu hieven. Sein fülliges Bäuchlein im Neoprenanzug hängt bereits auf dem Surfbrett, der Rest des Körpers noch im Wasser. „Schaut mal auf den sportlichen Opi da vorne. Das ist zum Beispiel ein Professor von der Uni Berkeley. Sitzt der auf seinem Brett, surfter gar nicht so schlecht. Ebenso gibt es einen Heimatlosen, der lediglich in einem Bus wohnt und hier regelmäßig zum Surfen vorbeikommt.“ Mit dieser Vielfalt an Alters- und Sozialklassen ist der Club ein soziales Experiment, finanziert lediglich durch die Geldspenden seiner Mitglieder und einen symbolischen vierteljährlichen Club-Beitrag von knapp hundert Dollar. „In Deutschland würde das niemals funktionieren“, sage ich und schaue in Richtung Steg, wo Vijay und Alex diskutieren.
Endlich gesellt sich auch Vijay wieder zu uns auf die Holzveranda: „Ich kann nicht mehr. Leute, lasst uns etwas essen gehen. Bei Vik’s Chat Corner auf der 4 th Street gibt es gutes indisches Essen.“ Und da wir alle hungrig sind, geht es auf nach Berkeley in eine von Straßencafés, Restaurants und Einrichtungshäusern gesäumte Straße. In einem einfachen Straßenimbiss, etwas abgeschieden am Ende der vierten Straße, stärken wir uns. „Ach, ich könnte für die Essensvielfalt in Kalifornien sterben“, gibt Alex schmatzend zu verstehen, und noch einmal beißt er in seinen Chicken Kebab. „Das Essen hier ist einfach grandios“, schwärmt Sophia. „Am nördlichen Ende der Shattuck Avenue befindet sich das Gourmet-Ghetto .“ Und sie erzählt uns von ihrem Besuch des bekannten Restaurants Chez Panisse der kalifornischen Köchin Alice Waters, eines der Highlights des kulinarischen Zentrums in Berkeley. Die Verfechterin frischer
Weitere Kostenlose Bücher