Ein Jahr in San Francisco
Gerichte hat die kalifornische Küche maßgeblich mitbegründet und verwendet nur Zutaten, die in Kalifornien angebaut wurden. „Ihr denkt auch nur ans Essen“, stichelt Vijay und grinst. „Berkeley hat auch eine große Anzahl schlauer Studenten hervorgebracht.“ – „Ja, ja, Vijay, wir wissen schon, wer den nächsten Nobelpreis absahnen wird“, sagt Mari Carmen. Doch immerhin: Aus dem Kreis der 30 000 Studenten und über 1000 Professoren an der renommierten Universität sind bereits 21 Nobelpreisträger der unterschiedlichsten Kategorienhervorgegangen. Und das ist auch der Grund dafür, dass es für die noch lebenden Nobelpreisträger exklusive Parkplätze gibt, die mit Nobel Laureate only gekennzeichnet sind. Für mich jedoch steht Berkeley neben der Bio-liebenden Sternenküche und der geachteten Universität noch für etwas ganz anderes: für den Ursprung der Hippiebewegung. Mit dem Slogan „Make Love, Not War“ sind hier die Hippies schon um 1967 aus Protest gegen den Vietnamkrieg sowie den Kalten Krieg auf die Straße gegangen und sorgten für weltweites Aufsehen. Berkeley war einst das Zentrum radikal-politischer Ideen während der 68er-Bewegung und Geburtsort der freien Rede, der sogenannten Free Speech Movement . Hier war schon immer etwas los.
Als sich gegen Spätnachmittag die Sonne über Berkeley am Horizont verkriecht und alle müde vom langen Segeltag sind, treten wir die Heimreise nach San Francisco an. Was denn eigentlich los sei, frage ich Mari Carmen auf dem Weg zu Sophias Auto. Sicher, sie ist öfters mal verstimmt, aber so eingeschnappt wie heute habe ich sie selten erlebt. „Mir geht’s gut, Chica.“ Mit einem gekünstelten Lächeln läuft sie barfuß neben mir her. „Ich kann es nur nicht leiden, wenn Vijay mich die ganze Zeit nervt. Die Segeltour habe ich sowieso nur für Sophia mitgemacht. Und die Dinger sind immer noch nass“, schimpft sie und zeigt auf ihre Socken. „Jetzt sei doch nicht so nachtragend. Er hat’s doch nicht so gemeint.“ – „Eigentlich wollte ich sowieso nicht mitkommen. Ich hab extra wegen Sophia auf SUAW verzichtet, obwohl es gerade mit dem Schreiben überhaupt nicht klappt.“ – „Aber das weiß Vijay doch nicht. Und was ist bitte SUAW?“ – „Ein Treffen namens Shut Up And Write . Ach, Vijay nervt mich einfach.“
Dass Mari Carmen an ihrem Roman schreibt und dass sie sich regelmäßig mit anderen Schriftstellern trifft und austauscht, das weiß ich. Aber was „Halt die Klappe undschreib!“ bedeuten sollte, das ist mir nicht ganz klar. „So eine Art Schreibgruppe für Autoren“, erklärt sie, bei dem man sich für neunzig Minuten in einem Café in San Francisco trifft, um kollektiv zu schreiben. „Es gibt auch einen Shut-up-and-write-Marathon . Da schreibst du dann einen ganz Tag lang“, ergänzt sie und steigt ins Auto; die Socken klemmt sie zwischen die leicht geöffnete Fensterscheibe. Sie ist einfach unverbesserlich! Die Schriftstellerei ist und bleibt ihr großer Traum, und sie arbeitet hart dafür, doch bisher hat sie in Spanien und den USA nur ein paar kleinere journalistische Aufträge erhalten. In San Francisco träumt sie vom großen Durchbruch, mindestens. Aber momentan will es nicht so ganz klappen. Auf der Suche nach der Muse besucht sie hin und wieder die berühmte Buchhandlung City Lights Bookstore auf der Columbus Avenue, benannt nach dem gleichnamigen Film City Lights von Charlie Chaplin. Die treue North Beach -Institution ist seit 1953 kreative Stöberstube lokaler Schriftsteller: zwei Stockwerke, kreuz und quer mit Bücherregalen, Magazinauslagen und Sitzgelegenheiten vollgestellt, so dass man sich leicht darin verirrt. Einmal traf Mari Carmen sogar auf den Gründer des Ladens, Lawrence Ferlinghetti, höchstpersönlich. Der alte Herr mit mittlerweile ergrautem Vollbart erlangte durch die Veröffentlichung des grenzwertig-obszönen Gedichtes namens „Howl“ von Allen Ginsberg Bekanntheit, denn unverblümte Publikationen dieser Art waren im prüden Amerika der damaligen Zeit unvorstellbar.
Am nächsten Morgen steht Sophia hupend vor meiner Haustür. Auf der Rückbank ihres Wagens Rose und Alex. Vijay, der auf dem Beifahrersitz Platz genommen hat, lässt seinen Arm lässig aus dem Fenster hängen. Ich quetsche mich also zu Alex und Rose, und Sophia dreht die Musik auf volle Lautstärke. „Folks, let’s go! Mari Carmen hat abgesagt. Sie will heute schreiben.“ – „Und hat keine frischenSocken mehr“, komplettiert
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