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Ein Jahr in Stockholm

Titel: Ein Jahr in Stockholm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Beer
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Gehirnzellen sofort auf akzentfreies Deutsch zurechtrückte. Daran sollten Caro und ich uns mal ein Beispiel nehmen. „Nee, aus Dresden, aber das ist fast dasselbe, also ich meine, Magdeburg liegt ja bei Dresden.“
    Die Mädchen waren schwer beeindruckt und ließen Caro in ihrer Funktion als Quasi-Nachbarin auf sieben Tokio-Hotel-T-Shirts unterschreiben. Zum Dank stimmten sie ein deutsches „Durch den Monsun“ an – ein Ohrwurm, der uns tagelang blieb.

    Denkwürdig an dieser Begegnung ist vor allem, dass Deutschland bei jungen Schweden als völlig uncool gilt. Darüber sind sich sogar Elin und Oskar auf dem Nachhauseweg vom Programmkino Zita an der Birger Jarlsgatan einig. Die Debatte nimmt ihren Anfang an der Kungliga Biblioteket , der schwedischen Nationalbibliothek. Wir spazieren durch den Humlegården – früher Hopfengut, nun Stockholms größter Innenstadtpark –, als ich einige aufschlussreiche Aussagen aus der Unterhaltung herausfiltere. Deutsche sind tendenziell hässlich, höre ich da. Hässlicher als wir sind nur noch die bleichen Engländer und die langnasigen Franzosen. Hübsch hingegen sind die Amerikaner. Ich spüre, wie mir trotz Eiseskälte ein Schwall Hitze ins Gesicht steigt.
    „Was soll das heißen: hässlich? Weil wir nicht wie ihr andauernd ins Solarium sprinten, zum Friseur und zum Schönheitschirurgen, oder wie?“
    „Ganz ruhig“, sagt Elin und bringt mich damit noch mehr in Rage. Der Durchschnittsdeutsche sei – das belegtenStudien aus Amerika und Schweden! – ein dicklicher Brillenträger. Die Frauen rasierten sich nicht unter den Achseln, meistens auch nicht an den Beinen oder sonst wo. Der deutsche Mann sei dafür berüchtigt, dass er ständig wie ein Prolet rumschreie.
    Ich frage mich, ob die Forscher ihre Erhebungen am Ballermann oder auf Ibiza gemacht haben. Bislang war mir nur das konservative Bild bekannt, das der Schwede von Deutschland hat. Und das kann ich durchaus nachvollziehen. In der schwedischen Duzgesellschaft mit traditionell flachen Hierarchien mutet es seltsam an, wenn sich Kollegen, die jahrelang eng zusammenarbeiten, konsequent siezen.
    Die Nordlichter schätzen die moderne Technik, die sie in vielerlei Gestalt aus Deutschland importieren, wundern sich aber darüber, dass in einem so fortschrittlichen Land die Gesellschaft in ihrem Denken einfach stehengeblieben sei. Sie finden die Deutschen altmodisch und rückschrittlich, was Kunst, Musik, Mode und Gleichberechtigung angeht. Die deutsche Debatte um das „Eva-Prinzip“ und angebliche Rabenmütter, die nach der Geburt ihres Kindes in den Beruf zurückkehren, stieß hier oben auf entsetztes Kopfschütteln. Natürlich seien die Menschen zwischen Flensburg und Lindau auch zuverlässig, freundlich, fleißig, geschäftstüchtig, aber eben auch ein bisschen humorlos und langweilig.
    „Ausgenommen ihr beide. Und Berlin natürlich“, fügt Elin hinzu, und Oskar pflichtet ihr bei: „Berlin ist sexy, die Musikszene, der Lifestyle. Echt abgefahren! Berlin ist dynamisch. Aber Berlin ist ja auch nicht Deutschland.“ Ach so. Mir fehlen kurzzeitig die Worte. Das macht aber nichts, denn Caro springt ein und stellt klar, dass Berlin gleich bei Dresden ums Eck liegt. Möglicherweise strahlt noch ein wenig Hauptstadtglanz an die Elbe.
    Jedenfalls trägt in Schweden kaum etwas zu einem angesagten Bild Deutschlands bei, weshalb die Bereitschaft,Deutsch zu lernen, unter Jugendlichen seit Jahren auf ein Minimum geschrumpft ist. Nun lockt Tokio Hotel die Mädchen und ein paar Jungen in den Deutschunterricht, weil sie die Liedtexte verstehen wollen. Auch nicht gerade das, wofür man sich rühmen kann. „Ta det lugnt!“ , sagt Elin: „Akzeptier’s, wie’s ist. Ihr müsst ja nicht gleich wieder einen Weltkrieg anzetteln deswegen.“ Der halbtrockene schwedische Humor hat auch schon bessere Tage erlebt.
    Trotz allem gehe ich einen Handel mit Elin ein, damit sie nach ihrer Spätschicht als Krankenschwester ausschlafen kann. Mein Beitrag gestaltet sich so, dass ich ihren Hund abhole und zu seiner dagis bringe, einer der allgegenwärtigen Tagesstätten, die ein schwedisches Lebensgefühl beschreiben – die Freiheit für beide Erziehungsberechtigten, arbeiten gehen zu können, und das Vertrauen, sein Liebstes in die Hände qualifizierter Arbeitskräfte zu geben. So eine dagis gibt es in Schweden nicht nur für Kinder wie Nadine, sondern selbstverständlich auch für Hunde. Warum auch nicht? Unter uns leben 40 000 solcher

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