Ein Jahr in Stockholm
vierbeinigen Stockholmer. Gerade mein Stadtteil ist voll von ihnen und ganztags arbeitenden Frauchen und Herrchen. Als logische Konsequenz davon spaziere ich also mit Qimmiq, einer bizarren Mischung aus einem chinesischen Windhund und einem Pudelverschnitt, zum Hundekindergarten.
Aus lauter Freude darüber verdrückt er auf unserem Weg durch die Alleen von Östermalm ein halbes Kilo Holz. In der dagis folge ich seinen Gummibeinen durch einen Hundezubehörladen, einen Hundefriseursalon, ein Hundespielzimmer und hinauf in den ersten Stock. Dort warten auf Sofas und Hundekissen: Rottweiler Gela, Golden Retriever Attila, der schwarze Mischling Sigge, Jack Russell Zorro, Berner-Sennen-Mix Buster sowie Schnoodle Ruff (ein Hybridhund, halb Schnauzer, halb Pudel) – und ihre Besitzer in hautenger Sportkleidung. Willkommen zum Hunde-Yoga!
Den anstrengenden Teil von diesem doga absolvieren aber nur wir Menschen. Die Tiere begnügen sich derweil mit der Tiefenentspannung. Ich verbiege mich zum Kranich und zur Brücke; in der Pause massiere ich Qimmiq und Buster. Ich mache das Kamel, die Kobra und den Baum; Qimmiq schaut zu. Ich bin der aufgerichtete Hund, der stolze Krieger, das Ruderboot; das Rudel schläft.
„Sie dürfen sich ruhig entspannen. Gleich laufen wir noch vier Stunden draußen herum“, erklärt mir später Annika, die in der dagis arbeitet. „Willst du mitkommen?“ Vier Stunden? Wow. Meine Kondition könnte strammes Gassigehen allerdings vertragen. Caro und ich hatten überlegt, uns im Fitnessstudio anzumelden, aber bei dieser Überlegung war es seit drei Monaten geblieben. Wer in der Stadt von Insel zu Insel wandert, sagten wir uns, legt tagsüber einiges an Strecke zurück – was auch stimmt. Irgendwie hat man das Ziel stets vor Augen, muss jedoch erst über Brücken und an riesigen Wasserflächen vorbei. Spätestens das doga aber macht mir klar, dass dringend etwas passieren muss, auch in Sachen guter Laune. Das gehört zu Elins Teil unseres Deals.
Caro und ich sollen uns nach dem CMYK-Modell kleiden, hatte sie noch kurz geschrieben. Leider begreift Caro als Erste, was das zu bedeuten hat, und zieht sich ganz K an, was für blacK , also Schwarz steht, denn B ist schon B lue. Mir bleibt eine Mischung aus C yan, M agenta und schrillgelbem Y ellow. So laufe ich wenig später wie die Mutter aller Textmarker auf dem Dach des kulturhuset auf, wo ich um die vierzig Doppelgänger habe und noch einmal so viele Leute dünne Sommerkleider mit Leggings tragen, altrosa Badehosen und kanariengelbe Schweißbänder – oder einfach Jeans und Chucks. Die gute Elin hat also übertrieben. Dennoch bin ich froh über ihren Rat, denn in normaler Sportbekleidung wären wir ziemlich ungut aufgefallen.
Bevor wir uns richtig umgucken können, steigen schon vier Retro-Schweden auf die Bühne, die ihrem Aussehen nach direkt dem SoFo entsprungen sein müssen – unter ihnen Elins Freundin Hanna, die dieses indiegympa leitet. Was das ist, erleben wir, als die Musik von Pulp und Kings Of Convenience durch die Lautsprecher dröhnt und wir die Gliedmaßen so schwungvoll durch die Luft wirbeln, wie es unsere Nachbarn vormachen. Wir imitieren akrobatische Clowns und Langstreckenläufer mit Schluckauf, bauen den Ententanz ein und biegen und drehen uns zu Wikingergebrüll wie Schlangenmenschen. Statt wie beim Aerobic uninspiriert die Beine zu heben und die Bauchmuskeln zu Dance-Musik zu trainieren, flippen Caro und ich in diesem Gymnastikzirkel völlig aus. Sogar die Sit-ups machen Spaß. Spaß, der wohlgemerkt nichts kostet. Stockholm zahlt.
Ich fühle mich während der Stunde, in der mir der Schweiß in die Augen rinnt wie niemals zuvor, wie in Trance. Das Lachen und Tanzen hat mir allen Frust und die Restangst vor dem Neubeginn aus den Poren getrieben und spült nun die Endorphine durch den Körper. In zwei Tagen sind wir bereits zum Gummitwist verabredet, fürs Wochenende zum gegenseitigen Abschuss mit Schaumstoffbällen im Greta-Garbo-Park und für den nächsten Sonnentag zum Frisbeegolf.
Ich bin derart gut gelaunt, dass ich Lars in dieser Nacht auf Facebook anschreibe. Er nutzt die Möglichkeit und erklärt, was Ende Februar in ihn gefahren war, als er fluchtartig das Land verließ. Der Chef seines Architektenbüros hatte ihn wegen eines Großauftrages nach Hamburg abberufen. Auf der Baustelle der Vorgängerfirma waren Baumängel festgestellt worden, weshalb der Auftrag nach Abriss zügig neu vergeben wurde. Glück fürs
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