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Ein Jahr in Stockholm

Titel: Ein Jahr in Stockholm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Beer
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schwedische byrå – Pech für mich und Lars, den ich entgegen seiner Frohnatur zum ersten Mal geknickt erlebe.
    „Momentan sind wir alle froh, wenn wir überhaupt etwas zu tun bekommen – in Schweden oder irgendwo in Europa“, setzt er an. Ich spüre seine Müdigkeit. In spätestens vier Wochen sei er zurück in der Stadt, meint er. Mein Herz hüpft, aber anmerken lasse ich mir nichts.

    Unsere Vermieterin hat Caro und mich zum Essen eingeladen. Leider hat Gunilla in ihrem Leben noch keinen Kochlöffel angefasst („Wir gehören immerhin zu den zehn bekanntesten Stockholmer Familien!“), und der Koch selbst hat die Grippe. Der erwartete Festschmaus stellt sich somit als Schüssel pürierte Blau- und Himbeeren heraus, die sogenannte Königinnenmischung. Zur Königsmischung, erfahren wir, fehlen noch die Erdbeeren, und die sind alle. Aha. Gunilla ist Ernährungspsychologin und hat tagsüber mit so vielen gefräßigen Leuten zu tun, dass sie abends von Gaumenfreuden, die kurzzeitig Magen und Seele streicheln, ohnehin nichts mehr wissen will. Sagt’s und rührt sechs Teelöffel Puderzucker ins pinkfarbene Püree, das jetzt eine blassviolette Note annimmt.
    Vor der halb geöffneten Zimmertür sehe ich einige Male einen nackten Mann vorbeiflitzen. Hat Guni einen heimlichen Geliebten? Ihr Mann, der Mittsiebziger Gustav, ist das jedenfalls nicht. Der hier ist jünger und schneller. Vielleicht sind seinetwegen die Möbel komplett mit Plastikhussen überzogen, was ich sonst nur aus Italien kenne. Laufen am Ende meine Vermieter herum, wie Gott sie schuf, wenn sie unter sich sind? Ich beschließe, von spontanen Besuchen Abstand zu nehmen.
    Irgendwann flötet Gunilla: „Bengt, komm jetzt!“ Im nächsten Moment steht ein Mann mit dem Teint von Heino vor uns, der auf dem Weg herein gottlob noch einen Bademantel gefunden hat. Bengt ist das einzige Kind von Gunilla und Gustav, ein Berufssohn, der sich seit seiner Kindheit alsSchriftsteller von Horror-Kurzgeschichten versucht, die seine Eltern im hauseigenen Buchverlag herausgeben. Er ist Anfang vierzig und der für Schweden atypische und viel belächelte mambo , ein mammaboende , also einer, der bei Mutti wohnt, weil er dort nicht erwachsen werden muss. Das meistert er mit Bravour. Am Tisch erzählt er uns ohne jeden Anlass und Anstand, die Schwestern seiner Mutter seien hysterische alte Krähen, die Brüder Dummköpfe von Elefantenstatur und der eigene Vater ein greiser Dackel. Aus Gunillas Gesichtszügen rutscht die Contenance, was Bengt dazu reizt, Gunilla noch mehr zu reizen. In dieser peinlichen Situation würde ich mich am liebsten unter den Tisch verkriechen, doch von dort starren mich schon zwei Augenpaare an, deren Zugehörigkeit ich im Dunklen nicht auszumachen vermag.
    Kurz darauf erinnern sich unsere Vermieter an Caros und meine Anwesenheit – und daran, dass sie uns eigentlich Urlaubsfotos zeigen wollten. Auf dem Programm stehen Thailand, Nordirland und Maschäj, das sich als Marseille entpuppt, bei dem die Schweden r und s zu sch kombinieren. So richtig viel erfahren wir allerdings nicht über die Orte. Wir gucken auf insgesamt 16 Fotos mit Bengt, der steif wie ein Stock am Strand posiert, das Gleiche vor einer Hütte, einem Rathaus, in einem Rettungsreifen und hinter einer Statue, vor seinem Hotelbett, vor dem Frühstücksbuffet, auf einem Ausflugsboot und hinter einer Mauer, um seine Mutter zu erschrecken, die ihn dabei knipst. Das einzige Foto, auf dem Bengt nicht zu sehen ist, ist eine Aufnahme, bei der Gunilla die Linse ordentlich gegen die Sonne gehalten hat. Einen krakeligen Strich am unteren Bildrand interpretiere ich als Trennlinie, die das schwachblaue Meer zwischen sich und den Himmel gezogen hat.
    Als wir Gunilla die Miete geben und gehen wollen, bittet sie uns, mit ihr und Bengt zum Abschluss die Mittsommer-Rakete abzuschießen. Auch das läuft natürlich anders ab, alsman glauben könnte: Wir stellen uns im Kreis auf, klatschen auf die Handrücken, links, rechts, werden immer flotter, trampeln dazu, noch schneller, noch lauter, bis Gunilla die Arme in die Luft reißt und hej! schreit. Die Kronenscheine wirbeln durch die Luft. Die Rakete ist gestartet.

    Am letzten Tag des Monats ist Walpurgis. Ich habe einen Termin in Uppsala, einer 100 000-Einwohner-Stadt vierzig Minuten nördlich von Stockholm, wo Studenten ihren Abschluss feiern. Das soll ein schweden- und weltweit einmaliges Ereignis sein. Ich lasse mich überraschen.
    Caro hat frei und

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