Ein Jahr in Stockholm
begleitet mich. Auf dem Weg zum Bahnhof begegnen wir auf dem Vallhallavägen drei etwa zehnjährigen Mädchen mit Bauchläden, in die sie Anstecker und Aufkleber sortiert haben. „Hej! Vill ni köpa några majblommor? Wollt ihr Maiblumen kaufen?“ – „Klar. Wofür sind die gut?“ – „Wisst ihr das denn nicht?“ Wir bekommen eine Morgenlektion von Grundschülern. Seit hundert Jahren sammeln gesunde für kranke Kinder Geld, indem sie Maiblumen verkaufen. Grundgedanke war es einst, Tuberkulosekranken in Göteborg zu helfen. Doch bald weitete sich das Feld der Helfer und „Geholfenen“ aus. Eine typisch schwedische Idee, irrsinnig einfach, aber mit großer Wirkung.
Die Broschen aus blauem Stoff finden sich überall in der Stadt an Frühlingsjacken und Rocksäumen, an Taschen, Schuhen, Halstüchern oder im Haar. Aufkleber sieht man wie bei Pollie und Nadine auf etlichen Schulranzen. In jeder Saison haben die Blumen eine etwas andere Blaunuance, weshalb sie auch ein begehrtes Sammlerobjekt sind. In diesem Jahr strahlen sie wunderschön hell. Und just heute war mir ein Polizist aufgefallen, der sich ein Kunststräußchen an die Brusttasche geheftet hatte. Dass durch diese Blume eine Botschaft vermittelt wird, war mir aber nicht in den Sinn gekommen.
Ein wenig beschämt stecken Caro und ich unsere Maiblumen an Schal und Reißverschluss und schlendern weiter. Getreu dem schwedischen Lebensgefühl ut i naturen , raus in die Natur, gehen wir zu Fuß, weil es eine Schande wäre, bei dem Wetter t-bana zu fahren.
Passend zu den Maiblumen ist endlich der Frühling nach Schweden gekommen. Es war eine schöne Überraschung, als er vor der Tür stand. Mit einem Mal war er da – anders als in Kontinentaleuropa, wo sich der Jahreszeitenwechsel schleppend vollzieht und wo ein jeder zusehen kann, wie sich Schneeglöckchen und Krokusse, Primeln und Tulpen der Sonne entgegenarbeiten. In Schweden geht es nicht Zug um Zug, sondern Knall auf Fall. Schade eigentlich, aber sei’s drum. Ich spüre richtig, wie sich meine Sinne überschlagen, als ich an diesem Morgen über vertrautes Terrain laufe.
Aus Kirschbaumzweigen ist über Nacht Leben geschossen, das aussieht wie rosafarbenes Bonbonzellophan. Stockholm knistert im Stadtwind, der in kräftigen Schüben über die Baumkronen streicht. Auf dem Karlaplan sticht nun eine meterbreite Fontäne in die Höhe und füllt ein Becken mit Wasser. Drumherum – und wenn die Eltern nicht hinsehen, auch mittendrin – spielen die Kinder. Eis und Hotdogs werden von den Buden herübergeschafft. Ältere Leute drehen ihre Runden auf dem Kiesrondell oder verweilen auf Parkbänken. Die Studenten haben Prüfungsphase und brüten im Gras über ihren Büchern, während in den sternförmig abgehenden Boulevards der Hufschlag der königlichen Gardepferde verhallt.
In Uppsala tanzt seit Stunden der Bär. Noch im Dunkeln hatten sich aktuelle, ehemalige und zukünftige Absolventen zum ausgiebigen Champagnerfrühstück am Wasser und auf den grünen Hügeln getroffen. Das ist gerade beendet, als Caro und ich die wenigen Straßen zwischen Bahnhof undZentrum betreten. Ein Schwung von Studenten erfasst uns, die für die frühe Stunde extrem heiter gestimmt sind. Uns gefallen diese undistanzierten Schweden, die uns von allen Seiten Alkohol und Erdbeeren anbieten. Die Parade spuckt uns am Fyrisån wieder aus, dem Fluss, der sich – im Gegensatz zur schwankenden Gesellschaft – schnurgerade seinen Weg durch die Innenstadt bahnt. Dort soll eine Riesengaudi steigen, die sogar deutsche Medien interessiert. Wir ergattern in einem Café einen der letzten Plätze direkt am Wasser, holen uns den obligatorischen Kaffee mit bulle und lassen uns von der Sonne den Rücken wärmen.
Uppsala ist bekannt für den größten Sakralbau Schwedens, seine Universität sowie als Geburtsort von Ingmar Bergman und Anders Celsius. Nach Stockholm, Göteborg und Malmö zählt sie als viertgrößte Stadt im Land – bei nicht einmal 200 000 Einwohnern ist die Atmosphäre allerdings schon recht familiär. Ein jeder scheint jeden zu kennen und auch noch zu mögen. Oder liegt es am Alkoholpegel, dass sich alle zuwinken und ein Luftballonverkäufer einem Jungen seinen fliegenden Delphin schenkt?
Valborgsmässoafton wird am 30. April von Studenten und Professoren in ganz Schweden gefeiert, aber angeblich nirgendwo so ausgiebig wie hier. „Deshalb ja auch das Lied“, bemerkt Caro und trällert „Ein Student aus Upp-sa-la-la-la,
Weitere Kostenlose Bücher