Ein Jahr in Stockholm
„Vielleicht entscheidet ihr. Aber Streit deswegen wäre nicht gut.“
Ich fasse es nicht; er meint es ernst. Caro erwähnt, sie habe einen Marcel zu Hause. Ich sage, ich hätte keine Lust ihn zu heiraten, meine es aber nicht böse, das müsse er wissen. Lars erwähne ich nicht. Für unser zartes Pflänzchen ist diese Situation mit dem mambo in Holzclogs zu kurios. Bengt starrt weiter auf die Stegplatten. „Ist schon okay. Wie es im Moment ist, gefällt es mir ja. Aber Mama hat gemeint, ich könnte es mal probieren.“
Als wir beim Abendessen versprechen, bald mit ihm zum Fußball zu gehen, wirkt er mindestens so zufrieden wie mit einer Ehe. Gunillas Ziehtochter Ida und Freund Jussi kochen für uns den Klassiker: Lachs in Dillsoße. Alle laden sich die Teller ordentlich voll und beginnen sofort mit dem Essen. Zu warten, bis jeder sitzt und Besteck in der Hand hält, dauert den Schweden zu lange. Hunger kennt kein Ta-det-lugnt. Während wir noch über die Regeln des Krocket diskutieren, das wir nach dem Dessert – einer schwarzwälder , die statt Kirschen nur sprödes Zeug unter der Sahnemasse verbirgt, das mich an Bauschaum erinnert – in Angriff nehmen wollen, hat Gunilla, die Ernährungspsychologin, bereits alles restlos verdrückt.
Am letzten Tag in Dalarna umfängt uns die Hitze stärker als je zuvor. Das Sonnenlicht dringt durch die Fenster und fällt schräg auf die Ledersessel, in denen wir kleben. Eigentlich hatte ich mich auf eine gemütliche fika mit Caro und meinen Büchern auf der Veranda gefreut. Doch daraus wird nichts. Wir sind eingeplant. Am öppen spis , dem offenen Kamin, in dem Holzscheite lodern, singen wir mit Schweißperlen auf der Stirn und Sonnenbrand am Rücken deutsche Weihnachtslieder. Gunilla findet daran nichts komisch. Deutsch mag sie, seit sie es wie viele ihrer Generation in der Schule gelernt hat, und Weihnachten sowieso.
„Außerdem muss der Mensch singen“, bestimmt sie und legt los: „ Oj Tanne-baum, oj Tanne-baum, wie süß sind dein Ta-blet-ter ...“ Schweden, die Deutsch sprechen, hören sich tatsächlich an wie der Mann in der Ikea -Werbung. Oder wie ein Schweizer auf einer eiernden Vinylplatte. Auch bei Lars holpern die Konsonanten dann neben zu offenen und langen Vokalen, dass es eine wahre Freude ist. Gunilla pflegt zu alledem noch einen äußerst kreativen Umgang mit ausländischen Liedtexten.
„... du grönst nisch nur su Sommer-seit, nej auch in Winter, Win-ter-kleid ...“ Sie macht derart auffordernde Gesten in unsere Richtung, dass Caro und ich nicht umhinkommen, zur zweiten Strophe einzusteigen. Gunilla ist selig.
Bengt will mitmachen und sein Wissen über die deutsche Sprache und deutsches Kulturgut präsentieren. Ich bin verblüfft. Normalerweise beschränkt sich der aktiveDeutsch-Wortschatz der Schweden auf „vor, zu, hinter, gegenüber, auf, neben, bei ...“ – die Präpositionen, die ihnen im Schulunterricht eingebläut worden sind und die sie uns zur Strafe beim Kennenlernen jedes Mal vorbeten.
Doch Bengt kann mehr: „Häns-sche klein, geht he-rein, in det große Welt-ve-rein ...“ Einem Fußballanhänger kann das schon mal passieren. Es folgen „Süßer die Glocksebaum klin-gel ...“, „FC Bay-en, Stein des Südens ...“, „... wir steigern das Brub-bo-kra-wul-produkt“ sowie „Morjen, Kinder, wird es wo-ho ge-hen ...“.
Tags darauf geht es tatsächlich. Nach Stockholm nämlich, und es fühlt sich fürs Erste fremd an, sich in einen vernünftigen Alltag einzufinden. Allerdings muss ich sogleich im Sprachkurs einen Vortrag über eine schwedische Persönlichkeit halten und psychologisch erklären, warum sie populär ist. Ich spreche über Vickan, wie die Schweden Kronprinzessin Victoria nennen, ihren Umgang mit der Lese-Rechtschreib-Schwäche, Anorexie und Gesichtsblindheit. Über Charme und Souveränität im Umgang mit anderen, ihr burschikoses Lachen, den engen Kontakt zum Volk, ein skandalfreies Leben, eine kompromisslose Liebe und ihre Leidenschaft, Pilze zu sammeln. Meine Wahl für die Präsentation fiel aus Sympathie, mehr aber noch aus Pragmatismus auf die Thronfolgerin, denn kurz darauf sitze ich zwei Meter neben ihr und studiere fasziniert ihr Kinn im Profil.
Und das kommt so: Für eine Literaturbeilage schreibe ich über ALMA, den Astrid Lindgren Memorial Award, genauer gesagt den höchstdotierten Kinder- und Jugendliteraturpreis der Welt, der von der Prinzessin im Freilichtmuseum überreicht wird. Ich gebe Caro als
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