Ein Jahr in Stockholm
hoffen, er meint seine Wohnung ( lägenhet ). Wir kommen nicht dazu nachzufragen, denn Oskar verkündet erneut:
„So. Ich habe jetzt keine Zeit mehr zum Plaudern. Ich werde erwartet.“
Dieses Mal meint er sein Bett.
juni
Flieder ist das Gassenparfum der Sommersaison. Die duftenden Büsche in leichtem Lila stehen Spalier, als ich mich morgens gegen sieben zu den dagis -Hunden aufmache. Wieder einmal hat sich auf die Schnelle irrsinnig viel getan in der Natur. Das Blätterwerk der Bäume in der Skeppargatan ist über das Wochenende zu einem derart dichten Geflecht gewuchert, dass ich die Gardepferde vom Balkon aus nur mehr am metallenen Klappern der Hufe auf dem Kopfsteinpflaster ausmachen kann. Den Rest muss ich mir dazudenken. Aber das intensive, ungewohnt helle Grün der Baumkronen bei einem Frühstück unter freiem Himmel entschädigt für alles.
Im dagis -Zimmer döst Qimmiq auf dem Rücken und wedelt wie seine Zimmergenossen freudig mit dem Schwanz, als er mich entdeckt. Doch keiner der Hunde bewegt sich auch nur einen Millimeter vom Platz. Erst als ich ihre Namen in die Runde rufe, kommen sie, um mich zu begrüßen. So eine wohlerzogene Bande habe ich noch nie erlebt. Der Hund, den ich in Deutschland zurücklassen musste, ist ein gutmütiges Unikum – von solch kontrollierter Freude hält er aber überhaupt nichts.
„ Träning, träning, träning “, erklärt Annika, die mich wieder zuerst entdeckt hat. Sie geht davon aus, dass ich fragen wollte, wie solche Disziplin möglich ist. Und davon, dass ich Ahnung von Hunden habe. Jedenfalls reicht sie mir ein Ensemble aus Lederleinen, das ich mir um die Hüfte schlinge. Leider bin ich nicht so trainiert, verwechsle die sieben auf mich zustürzenden Hunde und verursache ein Riesenchaosaus Leinen und dreißig Beinen. Irgendwann aber laufe ich mit fünf Dogwalkern nach New Yorker Vorbild und fünfzig gut sortierten Hunden die Oxenstiernsgatan hinunter – zur Linken etwas von der Größe eines Shetlandponys, zur Rechten einen Dackel, bei dem ich nicht sicher bin, ob sich unter seinem gedrungenen Wuchs überhaupt Beine finden –, bis wir zur ersten Pinkelpause auf die Grünfläche gegenüber Sveriges Radio einbiegen. Von den Bäumen greife ich mir die tollsten Kirschen und spucke Qimmiq die Kerne zu.
Über den Nobelpark und die Uferpromenade gelangen wir auf Djurgårdsbron, die Brücke, die auf die riesige grüne Freizeitinsel der Stockholmer hinüberführt. Das gusseiserne Geländer erinnert mich an Seegras; von vier Granitpfeilern aus begutachten die nordischen Gottheiten Thor, Heimdall, Frigg und Freya das Treiben auf der Brücke: all die Hobbyfotografen, Radfahrer und die roten Stadtbusse, die Tretboot- und Kanufahrer, Eisesser, Kaffeetrinker, Skateboarder und zwischendrin die hektisch bimmelnde Straßenbahn, die vorerst letzte, die Stockholms Innenstadt nach dem Ausbau des Bus- und t-bana -Netzes geblieben ist. Holzverkleidungen und ein Fahrkartenkontrolleur verleihen ihr musealen Charakter, sodass Passagiere zu gern alte Plaketten studieren und darüber vergessen, die Schönheit der Strecke zwischen Nybroplan im Zentrum und dem westlichen Teil Djurgårdens wahrzunehmen.
Die Insel Djurgården, der sogenannte Tiergarten, diente früher König Karl XI. als Jagdrevier. Wo um 1700 noch die Tiger tollten, entwickelte sich im 19. Jahrhundert ein Erholungsgebiet für geschundene Großstadtseelen, ein Auslaufparadies für Hundepfoten und gleichsam ein kultureller Treffpunkt für Kunstfreunde. Wir lassen am Anfang der Insel die Museen Junibacken (das Astrid-Lindgren-Museum), Nordiska museet (das Nordische Museum) und die Vasa (ein um ein Schiff herum gebautes Museum) rechts liegen, biegen scharf nachlinks ab und folgen der bepflanzten Uferlinie. In dieser poppig bunten Blumenoase mit brütenden Schwänen und klopfenden Spechten kommt mir das Großstadtgefühl mitten in der Großstadt völlig abhanden.
„ Oj, oj, oj! Diese kanadischen Graugänse sind eine echte Plage“, beklagt sich Annika; die anderen stimmen beherzt ein. Ich sehe, worüber sie sich echauffieren: Das Gras ist stellenweise vor lauter Gänsekacke nicht mehr zu sehen. Die Hinterlassenschaften unserer Hunde sammeln wir oberpenibel mit Plastiktüten ein. Doch die Graugänse nehmen sich daran kein gutes Beispiel. Sie vermehren und vermehren sich und stehen so dicht gedrängt in Hunderterhaufen auf den Wiesen beieinander, dass es jeden Züchter wegen Tierquälerei die Lizenz kosten würde.
Wir
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